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Verlegung der Sommerspiele in TokioDas Märchen vom olympischen Dorf

Wegen der Verlegung der Sommerspiele in Tokio hätten die Sportler dort 2021 ein Unterkunftsproblem, behauptet das IOC. Die Fakten sehen anders aus.

Schon recht städtisch: Teile des olympischen Dorfs in Tokio Foto: imago/AFLO

BERLIN taz | Den obersten Olympiafunktionär quält eine große Sorge: Olympische Spiele ohne olympisches Dorf – wie soll das gehen? „Dort schlägt normalerweise das Herz der Spiele“, erklärte der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, Thomas Bach, am Mittwoch. Aber die 11.000 Athleten, ergänzte er, müssten sich wohl an andere Wohnumstände anpassen. Bachs Einschätzung beruht auf der Annahme, die Olympiawohnungen seien schon an Japaner verkauft, die dort im Herbst einziehen wollten. Doch er kann sich entspannen – die Fakten sehen anders aus.

Auf Anfrage der taz erklärte das Immobilienunternehmen Mitsui Fudosan Residen­tial, welches das Olympiadorf vermarktet, man habe bisher 940 der 4.145 Wohnungen in den 21 Gebäuden des Neubauviertels auf der künstlichen Insel Harumi verkauft. Jedoch werden die Käufer keineswegs im Herbst dort einziehen. Denn nach der Nutzung durch die Sportler sollten die Apartments zunächst aufwendig umgebaut werden. Die 15.000 Klimaanlagen zum Beispiel werden ausgebaut und für die Tsunamigebiete im Nordosten von Japan gespendet.

Bereits nach der ursprünglichen Planung wären die Olympiawohnungen erst ab 2023 bezugsfertig geworden. Ein weiterer Grund für diese große Verzögerung: Zwischen den jetzigen Gebäuden sind in der Mitte der künstlichen Insel zwei Hochhaustürme mit jeweils 50 Stockwerken und weiteren 1.500 Wohnungen geplant. Sie sollen erst nach den Spielen in den Himmel wachsen. Aber die Käufer der umliegenden Premiumwohnungen mit einem durchschnittlichen Quadratmeterpreis von 7.800 Euro würden jahrelangen Baulärm wohl kaum akzeptieren.

Finanziell verkraftbar

Gegenüber der taz wollte sich ein Sprecher von Mitsui Fudosan nicht dazu äußern, wie sich die Verschiebung der Spiele auf Verkauf und Vermarktung der Wohnungen auswirken wird. Aber alles spricht dafür, dass die Umsetzung des Projekts sich genauso wie die Spiele um bis zu einem Jahr verzögern wird.

Denn die Stadtregierung von Tokio hat ein großes Mitspracherecht. Sie verkaufte das 13 Hektar große Gelände für das Olympiadorf vor vier Jahren zu einem Spottpreis von 108 Millionen Euro an ein Konsortium aus elf Immobilienentwicklern. Der Kaufpreis war sechsmal niedriger als der Marktwert. Der Megarabatt diente als finanzieller Ausgleich dafür, dass die Wohnungen zuerst bei den Spielen genutzt werden dürfen und danach teuer umgebaut werden müssen.

Die Bauherren, darunter alle Top-Firmen der Branche einschließlich Marktführer Mitsubishi Estate, dürften die Verschiebung finanziell verkraften können. „Dadurch erleiden sie lediglich einen Liquiditätsverlust, weil das Geld etwas später hereinkommt“, kommentierte ein ausländischer Immobilienexperte. Nur einige frühe Käufer werden sich betrogen fühlen, weil sie ihre Olympiawohnung nun erst 2024 nutzen können. „Wir müssen akzeptieren, dass wir verspätet einziehen, und erhalten nicht einmal einen finanziellen Ausgleich“, beschwerte sich ein Eigentümer in der Nikkei-Zeitung. Aber die Sportler können sich erst einmal auf ihr olympisches Dorf freuen.

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