Verleger der „Berliner Zeitung“: Er ist einer von vielen
Der neue „Berliner Zeitung“-Verleger Holger Friedrich soll Stasi-IM gewesen sein. Der Umgang damit erzählt viel über den Osten – aber auch den Westen.
![Holger Friedrich gestikuliert mit den Händen während eines Gesprächs Holger Friedrich gestikuliert mit den Händen während eines Gesprächs](https://taz.de/picture/3801500/14/24222117.jpeg)
D er Keks ist gegessen. Das war’s vom Mars. So in etwa geht der Schnack, wenn es um den Fall der beiden neuen Herausgeber der Berliner Zeitung geht. Silke und Holger Friedrich heißen sie. Die beiden Ostdeutschen haben nicht nur die Zeitung gekauft – Holger Friedrich war in der Endphase der DDR auch inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit.
Das ist eine große Scheiße, vor allem für jene, die sein Handeln betrifft. Und für die Mitarbeiter einer Zeitung, die das Gefühl gehabt haben mochten, da beginne etwas Großes im Zeitungsgeschäft, und sie säßen mit in der Rakete. Und nun: Verrat.
Stasi ist dunkelster Osten, von dem schon länger nicht mehr die Rede war. Silke und Holger Friedrich – die sind irritierenderweise schillernd und selbstbewusst. Und reich – mit eigener Privatschule und Wohnsitz am Wannsee. Zum Glück bockt nun die Stasi-Enthüllung das gewohnte Ostler-Bild wieder auf das alte, aber noch fahrbereite Chassis, um weiter durch das vertraute Dickicht der Vorurteile kreuzen zu können. Wie angenehm rollt es sich auf den gewohnten argumentativen Strecken, wenn man sich selbst – einzig biografisch bedingt – nie fragen musste: Wie hätte ich gehandelt?
Blöd nur, dass Holger Friedrich gar nicht so tut, als sei irgend etwas normal oder okay an seiner Stasi-Vergangenheit. Anwerbung – Verpflichtungserklärung – Verrat? Es könnte so einfach sein. Ist es aber nicht. Friedrich war der Republikflucht verdächtigt und wurde deshalb erpresst. Seinen auszuspähenden Freunden gegenüber hat er – offenbar kein Freund des Landes – sich offenbart. Dekonspiration war (jetzt nicht erschrecken, liebe westdeutsche MitbürgerInnen) gar nicht so selten. Es war eine Methode, sich von diesem Geheimdienst und seinen Erpressungsversuchen abseilen zu können. Sonst hörte das nämlich nie auf.
Aneignung durch den Westen
Man muss das alles nicht verstehen. Und dreißig Jahre nach dem Fall der Mauer scheint nachlassendes Interesse an den moralischen Windungen und Verwerfungen der Ostdeutschen verständlich. Aber bitte, wenn es doch zu einer Meinung, einer Haltung reicht – dann vorher gut informieren. Und immer schön dran denken: Der Osten, der geht nicht mehr weg. Der bleibt Teil der Familie, auch wenn er oft fremd und problematisch ist.
Dass jetzt so locker geurteilt wird, ist auch ein Ergebnis von dreißig Jahren Aneignung des Stasi-Themas durch den Westen. All die Filme mit den beige bejackten und durch Stahlbrillen schielenden Freaks; die Sächsisch sprechenden Verhörer und ihre zarten weiblichen Opfer. Dabei war die Stasi buchstäblich überall in der DDR, sie war ein gruseliger Geheimdienst, der auch lächerlich sein konnte. Er triezte Menschen, er war menschengemacht.
Die Stasi war dein Kollege, deine Lehrerin, der nette Nachbar mit dem Hausbuch. Menschen, die heute noch deine Blumen gießen, wenn du in den Urlaub fährst. Nur weil ein Staat untergeht, verschwinden nicht seine Menschen. Holger Friedrich ist nur einer von ihnen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Macrons Krisengipfel
Und Trump lacht sich eins
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
USA und Russland besetzen ihre Botschaften wieder regulär
Maßnahmenkatalog vor der Bundestagswahl
Grünen-Spitze will „Bildungswende“
Frieden in der Ukraine
Europa ist falsch aufgestellt
Die Neuen in der Linkspartei
Jung, links und entschlossen
Gentrifizierung in Großstädten
Meckern auf hohem Niveau