Verleger Gustav Mechlenburg: "Wir fühlen uns eher albern"

Der Textem-Verlag schillert zwischen Kultur, Gespenstern und schönen Männern. Geld ist mit der Unternehmung bislang nicht zu verdienen, aber Renommee.

"Man braucht all das nicht, was wir machen. Es gibt keine Notwendigkeit, es zu besitzen oder zu lesen": Gustav Mechlenburg. Bild: Miguel Ferraz

taz: Herr Mechlenburg, Sie sehen müde aus.

Gustav Mechlenburg: Wir haben immer irgendetwas zu feiern.

Was war es gestern?

Eigentlich nur Schnitzelessen im „Vienna“, aber tatsächlich haben wir ein bisschen gefeiert, weil Volker Renner sein Buch fertig hat, einen Bildband zu Steven Shaw. Shaw war Fotograf und hat eine legendäre Tour durch Amerika gemacht und Renner ist ihm hinterhergefahren und hat die selben Orte nachfotografiert.

Das wird ein Textem-Buch? Man sagt doch „Textem“ mit langem zweiten „e“, nicht wahr?

Die meisten sagen „Textem“, weil sie denken, es käme von Text. Aber es ist ein langes „e“ wie bei Morphem und Phonem aus der Linguistik. Ich kann es nicht so richtig gut erklären. Es ist in etwa eine Textbaueinheit eines Satzes.

Viele Verlagsgründer sind doch unglaublich programmatisch bei ihrer Namensgebung.

Nein, bei uns war es so, dass wir die Webseite, mit der es angefangen hat, dietexte.de genannt haben. Da haben wir unsere eigenen Texte in unredigierter und ungekürzter Version hineingestellt, weil wir natürlich immer beleidigt waren als Autoren, wenn die Redaktionen zu viel darin herumdokterten. Dummerweise gab es um die Ecke eine Firma, die „die Texte“ hieß. Deshalb musste ich mir relativ schnell einen neuen Namen einfallen lassen und den habe ich aus dem Lexikon. Ich finde es ganz gut, dass es eine Null-Aussage ist.

44, wegen der Musik der Hamburger Schule 1994 nach Hamburg gekommen, hat dort und in Frankfurt am Main Philosophie studiert.

Freier Journalist u. a. für taz, Financial Times und die philosophische Zeitschrift Widerspruch. Korrektor u. a. bei Capital.

Den Verlag Textem gründete er gemeinsam mit Freunden, erste Hefte erschienen dort 2002. Die Kulturzeitschrift Kultur&Gespenster gibt es seit 2006, die Reihe Stimmungs-Atlas startete 2011, das Mode-Magazin Der schöne Mann der Hochschule für Künste Bremen kam 2012 heraus.

Manche kleinen Verlage wollen partout klein bleiben. Ist es für Textem erstrebenswert, zu wachsen?

Der Nautilus-Verlag hat mit seiner Autorin Andrea Maria Schenkel richtig Reibach gemacht und vorher jahrzehntelang von irgendwelchen Förderern oder Ausbeutung gelebt. Mit dem zweiten Titel ging es natürlich nicht mehr so gut, mit dem dritten war das ganz klar – aber sie mussten, weil die Grossisten, Thalia, Libri et cetera sagten, wir nehmen den Titel nicht auf, wenn ihr nicht so und so viel davon liefert. Das heißt, sie mussten eine Menge produzieren, von der sie von vorneherein wussten, dass sie sich nicht verkaufen würden. Zu solchen Sachen habe ich keine Lust. Von daher ist das, was wir machen, die absolute Unabhängigkeit. Das es mit dem Geld hapert, ist eine andere Frage. Elitär finde ich uns gar nicht, wir fühlen uns eher albern.

Albern?

Es ist ein Überschuss-Projekt. Einige Freunde von mir, die eben nicht Philosophie studiert haben, sind erschlagen allein aufgrund der Masse in so einem Kultur & Gespenster-Heft. Ich sage dann immer: „Blätter’ doch einfach, vielleicht bleibst du irgendwo hängen, etwa bei der Reise-Strecke“. Dass wir es intellektuell nicht drunter machen wollen, ist schon klar, aber das hat eher einen aufklärerischen Aspekt für uns, eine Weiterbildungsmaßnahme für uns selbst. Wir lernen mit jeder Ausgabe dazu, weil wir das vorher auch alles nicht wissen.

Was genau meinen Sie mit „drunter“?

Gucken Sie in die Welt und Sie sehen, dass so getan wird, als ob man wüsste, wie dumm die Leser sind. Es wird alles kaputt redigiert, alle Hürden des um-die-Ecke-Denken-Müssens kommen weg. Bei uns schreiben zum Teil Autoren aus universitären Zusammenhängen – aber unsere Hoffnung ist, dass sie nicht universitär schreiben.

Die Themen der Reihe Stimmungsatlas – von Angst bis Verkrampfung – wirken im besten Sinne bunt. Suchen Sie gezielt oder kommen die zu Ihnen?

Man sieht hier ja schon einmal: zweimal A, einmal V, einmal N, dann kommt Z wie Zeit, dann L wie Laune – man sieht daran schon, dass uns das Alphabet nur als enzyklopädischer Aufhänger interessiert und weil es schön aussieht. Gerade gestern habe ich Bilder geschickt bekommen aus dem Voo-Store in Berlin, das ist ein Modeladen – da liegen die Bücher zwischen den Klamotten. Das ist sowieso ganz interessant: Eine bestimmte Art von Künstlerbüchern vermittelt sich eher über Boutiquen. Die Buchläden haben meist keinen Platz für Kleinverlage, deshalb gibt es eher sonderbare Boutiquen, wo auf einmal solche Titel liegen.

Gibt es Titel, die Ihnen besonders wichtig waren?

Den Roman „Vondenloh“ wollte ich unbedingt machen. Frank Witzel ist gar nicht so unbekannt, er hat bei Nautilus schon einige Bücher herausgebracht. Für ihn war es eher tragisch: Wir haben nichts verkauft.

Gar nichts?

20 Stück vielleicht. Da ging nichts, auch bei den Rezensenten nicht. Ich habe überall Freunde, und wenn Volker Weidermann schreibt, der Chef des Feuilletons der FAS, dann wird es sowieso gekauft. Aber bei diesem Buch sagte er, er habe es nicht zu Ende lesen können, weil das Cover so hässlich gewesen sei. Das ist natürlich total blöd: Das Cover war vom Autor selber gezeichnet und passt wahnsinnig gut. Ich schenke es Ihnen, es ist eines meiner Lieblingsbücher.

Noch einmal zum Albernen.

Man braucht all das nicht, was wir machen. Es gibt keine Notwendigkeit, es zu besitzen oder zu lesen. Das heißt nicht, dass wir nicht Debatten lostreten wollen oder können. Aber es ist nicht dieses Checker-Universum, wo man alle fünf Minuten auf Spiegel Online gucken muss, was los ist. Wir finden uns zwar aktuell, aber manchmal muss man schon um die Ecke denken, um den aktuellen Bezug zu finden.

Um auf Ihren Brotjob zu kommen: Hat es einen Einfluss, dass Sie viel Zeit als Korrektor von Wirtschaftstexten verbringen?

Diesen Job habe ich erst seit November. Ich war in allen Redaktionen: bei der taz, beim Spiegel, bei Make Up, das ist eine Computerzeitschrift, bei der Financial Times. Ich lese quer durch die Bank, auch Comics für Carlsen und Reprodukt. Wirtschaft interessiert mich nach wie vor nicht die Bohne. Man lernt auch in den Zeitschriften nichts darüber. Manager lesen darin, dass andere Manager auch gerne essen gehen, und freuen sich.

Noch einmal zum Geld: Ist der Verlag als Liebhaberprojekt gedacht?

Gedacht ist es schon so, dass er sich selber trägt. Aber das hat bislang nicht funktioniert. Obwohl Kultur & Gespenster so gut in der Presse ankommt und eigentlich ganz gut gekauft wird, hat es sich nie auf Null gerechnet – nur die erste Ausgabe, die Schwarz-Weiß gedruckt war.

Wie lösen Sie das?

Bislang war das mein Geld, dann hatte ich länger keines, dann haben meine Kollegen Nora und Jan die Stimmungsatlas-Reihe mitfinanziert. Ansonsten sind viele Titel, die wir gerne drucken würden, noch in der Schublade.

Wie ist die Stimmung?

Für die Autoren übernehmen wir die seelische Betreuung. Wir selber freuen uns, wenn etwas geht. Wenn nicht, dann nicht. Natürlich regt man sich ein bisschen über die Buchhändler auf, sie sind unglaublich schnarchnasig. Klar, sie haben wenig Platz für die Auslagen, aber man hat natürlich gehofft, dass sie den Stimmungsatlas cool finden und neben die Kasse legen. Aber es ist auch unsere eigene Schuld.

Inwiefern?

Der Mairisch-Verlag zum Beispiel ist viel straighter. Die haben ein viel klareres Außenbild, eine klarere Idee von den Lesern. Aber wir haben auch genau daran Spaß, dass wir nicht in eine Schiene passen, wir haben Leser von 80 bis 15 Jahren und das ist zugleich unsere Freiheit. Das Modemagazin Der schöne Mann ist uns auch so zugeflogen. Jetzt haben wir erst einmal die Tragik, dass Spiegel Online darüber berichtet hat, die Bestellungen schwappen herein und wir haben keine Exemplare mehr.

Indiskret gefragt: Wenn Sie und Kollegen den Verlag finanzieren, gehören Sie der glücklichen Erbengeneration an?

Überhaupt nicht. Ich kriege als Korrektor für zehn Tage etwa 2.000 Euro, 1.000 brauche ich für meine Wohnung in Berlin und Hamburg, plus Handy – der Rest geht in den Verlag. Andere von uns haben noch weniger.

Wie gut lässt sich der Verlag sozusagen nebenbei organisieren?

Ich muss täglich Mails beantworten und die Bestellungen weiterleiten, das mache ich nebenbei oder nachts. Die richtige Arbeit kommt akut zustande. Gerade ist Pause, die nächste Ausgabe von Kultur & Gespenster ist im Druck und ich habe nur einen Stapel E-Mails zu beantworten, wo ich Manuskripte ablehne. Da muss ich mir etwas Nettes ausdenken, damit die Leute nicht enttäuscht sind und sich wieder melden. Viele Autoren schicken manchmal Scheiß, aber das heißt nicht, dass sie es immer tun.

Die Kunst der schönen Absage.

Manchmal ist es nur ein Halbsatz, dass der Text nicht ins Programm passt. Aber wenn ich merke, da ist Potenzial, versuche ich zwei oder drei Sätze. Das kann ich aber nur zu ganz bestimmten mentalen Zeiten, dann haue ich 20 Absagen in einer halben Stunde heraus, aber vorher winde ich mich und kann überhaupt nicht rangehen.

Denkt Textem über E-Books oder Apps nach?

Magazine sind so scheißgeil. Hier bei Gruner + Jahr sowieso.

Ich dachte, jeder will ein Buch schreiben.

Magazinmacher sind noch cooler. Jeder will das und dann kommen so Sachen wie Beef und Business Punk und Dogs heraus. Aber zu den Magazinen: Das funktioniert durch das Haptische. Und das Abgeschlossene hat man im Internet eben nicht. Die komische App-Philosophie hat ja auch etwas mit einer absichtlichen Verknappung zu tun. Das, was man einmal im offenen Internet hatte, wird reduziert. Ich bin nicht gegen moderne Medien, es muss nur passen, selbst die Fußnoten hier sind nicht so einfach.

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