Verlässlichkeit und globale Politik: Stabilität schaffen
In einer unübersichtlichen Welt bekommen verlässliche Partnerschaften eine größere Bedeutung. Wie Deutschland das für sich erreichen kann.

V erlässlichkeit in der internationalen Politik ist ein rares Gut. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die Hoffnung auf verlässliche Beziehungen zu Moskau beerdigt, die Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus hat das transatlantische Verhältnis massiv ins Wanken gebracht. Angesichts einer internationalen Ordnung, die sich in einem Wandel mit noch offenem Ende befindet, entwickeln sich die Beziehungen zwischen Staaten dynamischer als zuvor. Umso wichtiger ist in diesem Umfeld die Verlässlichkeit bilateraler Partnerschaften.
Vor allem für eine Handelsnation wie Deutschland stellt dies eine gravierende Herausforderung dar. Zu Recht postuliert die Nationale Sicherheitsstrategie der Bundesregierung, dass Deutschland auf verlässliche Partnerschaften angewiesen ist, um international die eigenen Interessen verfolgen zu können. Daher ist es umso wichtiger, Klarheit darüber zu finden, was die Verlässlichkeit eines Partners ausmacht. Jedoch dominiert in Berlin ein wenig differenziertes Verständnis von Verlässlichkeit, das im Wesentlichen auf historischen Pfadabhängigkeiten beruht.
So reichte das abstrakte Bekenntnis sukzessiver US-Administrationen zu einer „regelbasierten Weltordnung“, „freiem Welthandel“ und der Nato jahrzehntelang als Beleg für die vermeintliche Verlässlichkeit der USA aus – ungeachtet der diversen Alleingänge, die die Regierung in Washington auf internationaler Bühne unternahm. Ebenso verhallten Warnungen vor dem wachsenden Neoimperialismus Russlands. Offenkundige Brüche wie Trumps „America first“-Handelspolitik oder Putins Invasion in die Ukraine treten daher scheinbar plötzlich und überraschend auf.
Wenn sich selbst langjährige und enge Verbündete als unzuverlässig erweisen, wird die Suche nach Alternativen dringlicher. Dafür ist es allerdings unabdingbar, sich darüber klar zu werden, woran die Verlässlichkeit eines Partners erkannt werden kann. Daher sollte die Bundesregierung sich nicht auf vermeintliche Gewissheiten verlassen, die in die Irre führen können, sondern sowohl die Bewertung bestehender als auch die Exploration neuer Partnerschaften strukturierter und systematischer angehen.

Die taz ist eine unabhängige, linke und meinungsstarke Tageszeitung. In unseren Kommentaren, Essays und Debattentexten streiten wir seit der Gründung der taz im Jahr 1979. Oft können und wollen wir uns nicht auf eine Meinung einigen. Deshalb finden sich hier teils komplett gegenläufige Positionen – allesamt Teil des sehr breiten, linken Meinungsspektrums.
Wir schlagen hierfür ein Verständnis von Verlässlichkeit vor, das holistisch, dynamisch und relational ist. Holistisch, weil es das Verhalten eines Staates gegenüber verschiedenen Akteuren und über unterschiedliche Politikfelder hinweg untersucht. Zusätzlich wird erfasst, wie ein Staat seine Interessen, sein regionales Umfeld und mögliche Bedrohungen wahrnimmt. Dynamisch, weil es über einen längeren Zeitraum beobachtet, wie sich die Verlässlichkeit eines Staates entwickelt. Und relational, weil es die Verlässlichkeit in einer Partnerschaft nicht nur bei einem Akteur verortet, sondern in den Blick nimmt, wie beide Partner zusammen Verlässlichkeit schaffen – oder diese unterminieren.
ist stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe Globale Fragen bei der Stiftung Wissenschaft und Politik.
Daniel Voelsen
ist koordinierender Leiter des Forschungsclusters Cybersicherheit und Digitalpolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik.
Felix Heiduk
leitet die Forschungsgruppe Asien bei der Stiftung Wissenschaft und Politik.
Deutschland selbst hat Einfluss darauf, wie verlässlich sich eine Partnerschaft gestaltet. Daher sollte Deutschland kontinuierlich prüfen, ob das eigene Verhalten hinreichend verlässlich ist. Bei der Bewertung beziehungsweise der Exploration von bilateralen Partnerschaften geht es um die Frage, inwiefern das Verhalten eines Partners mit den Vereinbarungen übereinstimmt, die der Partnerschaft zugrunde liegen. Bei Staaten, mit denen bereits eine Partnerschaft besteht, kann (und sollte) eine entsprechende Prüfung regelmäßig erfolgen. Anders bei Staaten, mit denen eine Partnerschaft erst eingegangen werden soll: Hier lassen sich Schlussfolgerungen aus der Analyse von Partnerschaften ziehen, die diese „Wunschpartner“ bereits mit anderen Staaten pflegen, sowie aus ihrem Verhalten in internationalen Organisationen.
Zum anderen müssen relevante Akteurs- und Strukturmerkmale aktueller und potenzieller Partnerstaaten in die Analyse einbezogen werden. Dazu gehören beispielsweise weltanschauliche Vorstellungen und Interessen, die im Partnerstaat dominieren, sowie der Blick aus dem Partnerstaat auf die Kooperation mit Deutschland. Aber auch die vorherrschenden politischen, ökonomischen und sozialen Strukturen sowie das regionale Umfeld, in dem der Partnerstaat agiert, müssen kontinuierlich beobachtet und bewertet werden.
Neben methodischer Differenzierung ist auch eine intensivere und innovativere Zusammenarbeit in der Regierung empfehlenswert. Das beginnt bei einer ressortübergreifenden Herangehensweise an Partnerschaften, die momentan nicht systematisch erfolgt. Wir empfehlen daher, eine Plattform einzurichten, die ein gemeinsam erstelltes und gepflegtes Profil der bilateralen Beziehungen für jeden Staat enthält, mit dem Deutschland Partnerschaften eingegangen ist. Der Zugriff darauf sollte regierungsweit möglich sein. In einer Datenbank sollten zudem grundlegende Informationen über Staaten vorgehalten werden, die für eine künftige Partnerschaft in Frage kommen könnten.
Deutschland ist nicht allein
Darüber hinaus wären ein kontinuierliches Monitoring sowie das regelmäßige und antizipative Überprüfen bilateraler Partnerschaften empfehlenswert. Gerade weil sich Partnerschaften zwischen Staaten in einem fluideren internationalen Umfeld dynamischer entwickeln können, ist es notwendig, die Verlässlichkeit des Gegenübers regelmäßig zu überprüfen.
Deutschland steht nicht allein vor diesen geopolitischen Herausforderungen. Viele Staaten des politischen Westens, aber auch aufstrebende Nationen in Asien, Afrika und Lateinamerika teilen das Interesse an verlässlichen internationalen Regelwerken, friedlicher Konfliktlösung und wirtschaftlicher Zusammenarbeit. Die schwarz-rote Bundesregierung hat jetzt die Möglichkeit, die Grundlagen für eine strategischere „Partnerschaftspolitik“ zu legen, um auf die künftigen ordnungspolitischen Herausforderungen besser reagieren zu können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Normalisierung Israels Gewalt in Gaza
Tödliche Abstumpfung
Debatte um Mindestlohn
Wer beißt in den sauren Apfel?
Protest gegen Alice Weidel
Was der AfD wirklich nützt
Protest beim Sommerinterview mit Weidel
Ein Hoch auf den Zwischenruf
Rassismus im Mietshaus
Wenn der Nachbar rechtsextrem ist
Kisscam-Affäre
Aufgeflogen bei Coldplay