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Verkehrswende per HandschlagZu Fuß ist Berlin die Hölle

Der Krieg zwischen Fahrrädern und Autos tobt seit Jahren auf Berliner Straßen. Wer dabei zuerst unter die Räder kommt: die Fußgänger:innen.

Auch ohne Autos nicht ganz ungefährlich: Straßenverkehr in Berlin Foto: Carsten Koall/dpa

A ndere steigen ins Auto oder aufs Fahrrad, ich laufe lieber. Klar habe ich ein Abo für Bus und Bahn; wenn genügend Zeit da ist, bevorzuge ich aber das Laufen. Eigentlich. Die Stadt ist inzwischen nämlich voller Fahrzeuge. Buchstäblich – Zeugs zum Fahren. Nicht nur auf der Straße: Autos und Lkws, Mopeds und Motorräder, E-Roller, Fahrräder, Long- und Skateboards. Mobil ist schon lange nicht mehr nur das Telefon.

Vor ein paar Tagen erst hätte mich beinahe einer dieser Raser, für die der röhrende Auspuff sekundäres Geschlechtsmerkmal ist, beim Abbiegen erwischt, einen Hechtsprung später schnitt mich ein die rote Ampel ignorierender Radfahrer, zwei Schritte weiter musste ich auf dem Gehweg einer Horde Jungs auf E-Rollern ausweichen, die allem Anschein nach gerade ihren Erstkontakt mit Testosteron hatten.

2020 wurden in Berlin mehr als 2.000 Autos gestohlen, unfassbare 28.000 Fahrräder, warum bitte klaut denn niemand stattdessen diese verdammten E-Roller? Hinfort mit dieser lästigen Plage, die uns 2019 der Scheuer, Andi – damals noch als Bundesverkehrsrowdy – bescherte. Die meisten Autos und Fahrräder werden immerhin einigermaßen gesittet abgestellt, wieso liegen oder stehen E-Roller mitten auf dem Gehweg rum? Es parkt doch auch niemand seinen Wagen mitten auf der Straße. Keine Radfahrerin ihr Gefährt auf dem Radweg.

Knautschzone Kopf

Rowdytum im Verkehr ist zwar eher die Ausnahme, aber eine bedenklich hohe Anzahl Personen wird wiederholt zum Risiko für Passanten – und füreinander. Richtig „lustig“ sind zum Beispiel diejenigen, die um jeden Preis auf ihr Recht pochen. Koste es, was es wolle – sogar die eigene körperliche Unversehrtheit. Zum Beispiel Kamikaze-Radler, jene Spezies, die auch dann nicht abbremst, wenn sich ein Auto mit Karacho nähert und einem die Vorfahrt stiehlt. Im Notfall ist die Sache doch klar – für den Autofahrer ist der Wagen die Knautschzone, für Radelnde der unbehelmte Schädel.

Auf der anderen Seite jene auf jedes Recht pfeifenden Autofahrer, die den Radweg als Parkzone kapern. Rad­le­r:in­nen müssen auf die Fahrbahn ausweichen, geraten dabei schnell mal in jenen toten Winkel eines Lkws, in dem es auf der Straße auch tatsächlich tödlich enden kann. Die vom ADFC an Unfallstellen aufgestellten weißen Geisterräder sind beklemmende Mahnungen dafür.

Und die in den Kinderschuhen feststeckende Verkehrswende tut ihr Übriges: Bei gleichbleibender Fahrzeug- und Menschendichte bewirkt die Raumverknappung für Autos derzeit noch das Gegenteil von Verkehrsberuhigung. Beispiel Kottbusser Damm in Neukölln: Eine von ursprünglich zwei Fahrspuren ist nun Parkfläche, links davon fahren Autos, rechts Fahrräder. Neulich gab es dort einen Feuerwehreinsatz.

Der Rettungswagen konnte in keine Einfahrt ausweichen, weshalb sich der Verkehr bis zum Landwehrkanal staute. Es kam zu Tumulten, weil der Rückstau auf der Kreuzung dahinter dem Querverkehr im Weg stand. Da wirkt die Verkehrswende genauso beruhigend wie eine Line Koks bei einer Panikattacke.

The Walking Dead

Und na ja, mal Hand aufs Herz, wir Fußgänger sind doch auch nicht nur als potenzielle Opfer in der Verkehrshölle unterwegs. Als Antispießer, der ich zu sein behaupte, bin ich selbstverständlich auch Täter. Ich bin „the walking dead“, laufe bei Rot über die Straße, hänge gern mal auf Radwegen ab, starre aufs Handy, gehe dabei viel zu langsam bei Grün über die Fahrbahn, egal wie viele Abbieger deshalb in ungünstiger Position am Warten sind.

Aber: Ich gelobe Besserung! Und für den Sommer plädiere ich für einen Wechsel von Fahrlässigkeit zu mehr Gelassenheit beim Fahren – und, ööhm, für mehr Aufmerksamkeit (nicht nur) beim Gehen. Deal?

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Bobby Rafiq
Jahrgang 1976, Südhang Hindukusch. Berliner Junge. Schon als Kind im Widerstand gegen Exoten-Bonus und Kanaken-Malus. Heute als Autor und Producer zu unterschiedlichen Themenfeldern journalistisch tätig. Für TV, Print, Online und Bühne. Und fast immer politisch.
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4 Kommentare

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  • Endlich sagt's mal einer. Danke für den Kommentar!

    Mir fallen mehrere Orte ein, an denen Fußgängern in Berlin klargemacht wird, dass sie nichts zählen. Am krassesten ist es an der M10-Haltestelle Berliner Mauer an der Bernauer Straße. Dort rasen jeden Morgen zig Fahrradfahrer den Berg hinab. Hält eine Tram, stehen die Aussteigenden auf der Fahrbahn und müssen warten, bis auch der letzte Radfahrer vorbeigerast ist, bevor sie auf den Fußweg gehen können. Oft ist die Tram dann schon abgefahren. Resultat: die Fußgänger stehen auf der Straße im Weg des wieder anrollenden Autoverkehrs. Ich habe in mehreren Jahren noch nicht ein einziges Mal gesehen, dass ein Radfahrer gebremst, angehalten und die Fußgänger - morgens viele Kinder - vorbeigelassen hätte. Es Scheit nicht das geringste Problembewusstsein, geschweige denn Anstand, zu geben. Und in Kopfsteinpflasterstraßen scheinen viele Radler es als völlig selbstverständliches Recht zu betrachten, den Fußweg zu nehmen - natürlich, ohne abzusteigen und zu schieben.

    • @Suryo:

      VERKEHRSREGEL: "Sie dürfen an einer Straßenbahn, die an einer Haltestelle anhält, nicht rechts vorbeifahren, solange Fahrgäste ein- und aussteigen."

      Das gilt auch für Radfahrer!!!!

      Wenn jeder bedingungslos auf sein Recht pocht, kann man sich nicht einigen - im Kleinen wie im Großen.

      • @cuba libre:

        Anders als Autofahrer müssen Radfahrer aber nun mal niemals nachweisen, dass sie die Verkehrsregeln kennen. Und die meisten scheinen sie tatsächlich nicht zu kennen - oder sie ignorieren sie. Denn meistens werden sie ja auch nie erwischt.

  • "Zu Fuß ist Berlin die Hölle"



    Sicher, wenn man zu Überteibungen neigt.



    Ich fühle mich als Fußgänger eigentlich ganz wohl.



    Es ist ja nicht alles Dreck, was hier in der Stadt passiert.