ADFC-Kampagne geht nach hinten los: Wütende Radfahrer

Mit der Kampagne „Fahr runter“ wollte der Bremer ADFC gegen Aggressionen im Straßenverkehr antreten – und kriegt dafür nun selbst einen Shitstorm ab.

Ein Autofahrer nimmt einem Radfahrer die Vorfahrt.

Geht's hier um Vorfahrt, oder doch nur ums Höflich-Bleiben? Foto: Simon Katzer/dpa

BREMEN taz | Klingt schon komisch: Da will einer antreten gegen Aggressivität im Straßenverkehr und für respektvolleres Miteinander – und bekommt postwendend selbst die volle Breitseite an Wut und Häme um die Ohren. Insbesondere Radfahrer:innen sind sauer auf die kürzlich gestartete Kampagne #fahrrunter: Weil die Plakate, Postkarten und Anzeigen lebensgefährliches Fehlverhalten von Autofahrern normalisierten und stattdessen die Wortwahl der potenziellen Opfer zum Thema mache, heißt es zigfach auf Twitter und Facebook.

Manche fühlen sich bereits vom Titel aufgefordert, es mit ihren Rechten einfach sein zu lassen und die Straße für den Autoverkehr zu räumen. Für sogar bundesweite Aufregung sorgt zudem, dass neben dem ADAC Weser-Ems und Bremens Verkehrsressort auch der hiesige Landesverband des Allgemeinen deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) an der Entwicklung von #fahrrunter beteiligt war.

Tatsächlich ist bereits die Zusammenarbeit der naturgemäß verfeindeten Lobbyverbände eine Premiere, wie ADFC-Sprecherin Pina Pohl der taz bestätigt – weil die Sorge über wachsende Aggressivität auf der Straße beide gleichermaßen umgetrieben habe. Seit einem Jahr sammelt eine gemeinsame Arbeitsgruppe typische Konfliktsituationen wie zu dichtes Auffahren, zugeparkte Radwege oder die genommene Vorfahrt. Das Ergebnis ist seit zwei Wochen auf Bremer Plakatwänden zu sehen, wo sich weiße Strichmännchen auf blauem Grund wechselseitig beschimpfen: „Rechts vor links, du Hackfresse“, heißt es da etwa, oder: „Mach Platz, du Pisser.“

„Wir hatten damit gerechnet, wegen der Ausdrucksweise kritisiert zu werden“, sagt Pohl – die geballte Wut aus der Fahrradcommunity habe sie dann aber doch überrascht. Die Anspannung könne sie zwar gut verstehen, aber längst nicht alle Vorwürfe.

Ohnmacht wegen ungleicher Kräfteverhältnisse erklärt sicher einen Teil des Zorns der Radfahrer

Dass der Titel „Fahr runter“ nicht als Aufruf zum Abregen verstanden werde, sondern zum Verlassen der Fahrbahn, sei „doch absurd“. Weil es in dieser Kampagne ausdrücklich ums Überreagieren gehe, seien auch extra nicht die schlimmsten und gefährlichsten Vergehen abgebildet – auch wenn das manche anders wahrnähmen. Dass die Zeichnung zum Abstandhalten etwa so aussehe, als würden sich Fahrradlenker und Autorückspiegel berühren, ist für Pohl eine Frage der Perspektive des zweidimensionalen Bildes. So oder so mache Ausrasten jedenfalls nichts besser, sondern sei selbst gefährlich für alle Beteiligten. Besser sei Abregen, „auch wenn du recht hast“.

Auf den ersten Blick kommt das Fahrrad in der Kampagne gar nicht mal so schlecht weg: Auf sieben der zehn Bilder liegt der Fehler klar beim Auto, auch in Sachen Gepöbel führen die Motorisierten deutlich. Aus Sicht vieler Fahrradfahrer:innen sind aber interessanterweise gerade die Motive schwierig, auf denen beide Fehlverhalten beim Autofahrer liegen. Wenn der nämlich erst den Abstand nicht einhält und auf den (auch im Bildtext) sachlich vorgetragenen Hinweis nur mit „Halt die Schnauze“ reagiert – dann bleibt die Frage doch offen, was man außer Ertragen und Nachgeben noch tun soll.

Ohnmacht angesichts extrem ungleicher Kräfteverhältnisse erklärt jedenfalls sicher einen Teil des Zorn. Dazu kommt die Stimmungslage einer Gesellschaft im Umbruch: Der Alptraum von der autogerechten Stadt mag politisch tot sein, nur rasselt die Selbstwahrnehmung gesundheitsbewusster, zweirädriger Klimaschützer:innen darum nur umso härter auf die abstrakte Freiheit aus der Autowerbung und die mindestens gefühlten Zwänge motorisierter Pendler:innen.

Auf Twitter kursiert der zynische Witz, Videos von gefährlichen Autofahrmanövern oder Unfallnachrichten mit #fahr­runter zu kommentieren, oder den Slogan gleich umzudeuten als „stirb leise“. Doch auch inhaltlich ausformulierte Kritik ist zu hören. Neben zahlreichen Privatpersonen hat sich über den Podcast „Fahrradstadt Magazin“ inzwischen auch der ADFC Sachsen-Anhalt kritisch mit den Bremer Kolleg:innen auseinandergesetzt.

Ein wesentlicher Gedanke ist hier, dass theoretische Rechte auch praktisch eingefordert werden müssten. Das gelte sowohl für das Fahren auf der Straße als auch fürs Beharren auf dem in der frisch novellierten Straßenverkehrsordnung zementierten Mindestabstand von 1,50 Meter. Es ist die Strategie weiter Teile der Szene, solange konsequent in die Offensive zu gehen, bis es auch die letzte Autofahrer:in begriffen hat.

Das sehe auch der Bremer ADFC so, sagt Pina Pohl auf Nachfrage. Nur bedeute offensiv nicht aggressiv und gerade wer nach außen selbstbewusst auftreten wolle, müsse innerlich ruhig bleiben. Und das dürfte auch dem Verband schon leichter gefallen sein als im Moment.

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