Verkehrswende mit Straßenbahn: In vielen Städten kommt die Tram zurück
Weltweit wird dieses alte Transportmittel in immer mehr Städten wieder oder neu eingeführt. Sie bietet viele Vorteile – nicht nur fürs Klima.
Die Straßenbahn hat sonst nicht den Ruf des modernsten Verkehrsmittels. Eher Bimmelbahn als Hightech-Zug. Aber überall auf der Welt entstehen seit 20 Jahren neue Tram-Linien. Derzeit können sie Menschen in 400 Städten weltweit nutzen, 16.000 Schienen-Kilometer global zählt die International Association of Public Transport, Stand 2021. Eine Renaissance, für die es gute Gründe gibt.
Die Lütticher*innen mussten fast ein Jahrzehnt auf die Wiedereröffnung warten. Aber seit April 2025 rollt die Tram nun auf 11,2 Kilometern von Süden nach Norden durch die Stadt und ist an diesem Tag im Juni gut besucht. Wie viele europäische Kommunen hatte sich auch Lüttich in den späten 1960er Jahren von der Tram verabschiedet – und sie ein halbes Jahrhundert später in neuer technologisch-avancierten Form reaktiviert, um damit drängende Probleme zu lösen.
Das Verkehrssystem der Stadt mit Bussen und motorisiertem Individualverkehr war komplett überlastet, erklärt Daniel Wathelet, Pressesprecher der Tram de Liège. Hinzu kamen Luftverschmutzung, CO2-Belastung und Lärm.
Auto verdrängte Tram
In ihrer Hochzeit – den 1930er Jahren – gab es Straßenbahnen in 900 Städten. Das Tram-Netz in Los Angeles hatte eine Länge von rund 1.600 Kilometern. Paris konnte sich um 1925 mit über 900 Kilometern Schienen rühmen. Heute, und mit erfolgreicher Wiedereinführung, sind es knapp 200 Kilometer.
Warum aber war die Tram vielerorts verschwunden? Kurze Antwort: Sie musste dem Auto weichen – und einem neuem städteplanerischen Zeitgeist, der Idee der autogerechten Stadt. Dieselgetriebene Busse ersetzten die Bahnen, wer es sich leisten konnte, fuhr in seinem eigenen Auto. Die Tram sei zu langsam, unflexibel, teuer, lautete das Argument. Erhalten wurde sie vor allem in Osteuropa, auch im Ostteil Berlins. Westberlin schaffte sie ab.
Ihre Rückkehr hat nun nicht nur mit ihrer guten Klimabilanz zu tun – nach Zahlen des Umweltbundesamts stößt sie bei ähnlicher Auslastung pro Personenkilometer nur etwas mehr als halb so viel CO2 aus wie ein durchschnittlicher Diesel-Linienbus, ein Fünftel so viel Stickoxide und ein Viertel so viel Feinstaub. Sie schneidet auch etwas besser als Elektrobusse ab.
Sie schafft aber noch mehr: Vielerorts dient sie als Katalysator, um öffentliche Räume neu zu gestalten. In der Lütticher Innenstadt etwa haben Fußgänger*innen, Fahrräder und der öffentliche Nahverkehr jetzt mehr Platz. Die Tram mit ihren Niederflur-Wagen hat eigene Gleise, bekommt Vorrang und ist deshalb schneller als der Straßenverkehr. 900 Bäume wurden entlang der Strecken gepflanzt, auf einem Großteil der Gleise gibt es grünen Rasen. Das hat eine kühlende und zusätzlich CO2-absorbierende Funktion, so Pressesprecher Wathelet.
Niedrige Kosten
Finanziert wird das System – mit Kosten von knapp einer Milliarde Euro – durch eine Öffentliche Private Partnerschaft. Baukosten, Finanzierung und Wartung tragen die Unternehmen, den Rest übernimmt das öffentliche Verkehrsunternehmen und zahlt die Investitionen zurück – hier in Lüttich 27 Jahre lang, zu einem gleichbleibenden Betrag. Das Finanzierungs-Konzept ist nicht unumstritten. Woanders werden Tram-Linien nur mit öffentlichen Mitteln gebaut, in Frankreich wird oft ein spezielles Besteuerungssystem angewendet.
Ein Grund, warum die Tram oft der ebenso umweltfreundlichen U-Bahn vorgezogen wird: die niedrigeren Kosten. „In Deutschland geben wir etwa 10 Millionen für einen Straßenbahnkilometer und ungefähr 100 Millionen für einen U-Bahn-Kilometer aus“, sagt Mobilitätsforscher Arndt. 60.000 Fahrgäste pro Tag und Strecke könne so eine Tram in Hochzeiten von A nach B bringen und in etwa drei Busse ersetzen.
„Sie bekommen für 10 Prozent des Preises einer U-Bahn 60 Prozent der Kapazität. Und das ist der Clou bei der Straßenbahn.“ Und im städtischen Raum nimmt eine Traminfrastruktur wesentlich weniger Platz in Anspruch als das Auto bei einer höheren Kapazität.
Die Hoffnungen, die in Lüttich auf „Le Tram“ liegen, sind groß. 30 Prozent weniger Autos sollen hier bald unterwegs sein. Machbar? „Eine Tram schafft ein neues urbanes Selbstverständnis und wird als Verkehrsmittel anders wahrgenommen“, sagt Wulf-Holger Arndt. Er forscht zu Mobilität und Raum an der TU Berlin. Autofahrer steigen eher auf die Tram um als auf den Bus, das haben Studien gezeigt, sagt Arndt. Eine Tram werde oft als schneller, komfortabler, geräumiger und attraktiver als Bussysteme empfunden. Oft ist es jedoch die Kombination vieler Faktoren, wie Fußgängerzonen, Parkgebühren oder Beschränkungen oder Mautsysteme.
Der wirksamste Hebel überhaupt aber sei die Verkürzung der Fahrtzeit, schreibt Adriana Diaz, Director of Innovation at EIT Urban Mobility. Das begeistert auch Passagier*innen der Lütticher Tram: Vorher musste ich eine Stunde mit dem Bus fahren, heute sind es 10 Minuten“, sagt eine Lütticherin. Eine andere sagt: „Die Stadt ist jetzt viel lebhafter, es ist toll.“ Dass es weniger Autos gibt, empfindet ein Fahrgast als große Erleichterung, und das, obwohl er selber Autofahrer sei.
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