Verkehrswende in Bremen: Viel Rücksicht aufs Auto
Bremen will bundesweit Vorreiter bei der Mobilitätswende sein. Doch immer wieder gibt es Verzögerungen. Das zeigt sich auch im Stadtteil Findorff.
Im Bremen soll die Verkehrswende endlich Fahrt aufnehmen. Nachhaltige Mobilität, sozial gerecht gestaltet, das ist ein elementarer Bestandteil des rot-rot-grünen Koalitionsvertrags. Stück für Stück muss dafür mehr Raum für klimafreundliche Mobilität und Barrierefreiheit entstehen. Im Stadtteil Findorff haben Anwohner:innen dafür in einem deliberativen Prozess Lösungen gesucht – bis Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) in letzter Sekunde die Notbremse gezogen hat.
In Findorff, gleich hinter dem Bremer Hauptbahnhof, ist es etwas eng auf dem Gehweg. Wie viele Quartiere in Bremen ist der Stadtteil von schmalen Straßen durchzogen. Autos parken an vielen Stellen aufgesetzt, also halb auf der Fahrbahn, halb auf dem Gehweg. Hier gibt es zwar weniger Autos pro Kopf als im Bremer Durchschnitt, dennoch ist die Parksituation angespannt.
Deswegen hat sich Findorff in Bewegung gesetzt, eine Parkraumuntersuchung anberaumt und einen Betriebsplan erstellt, in dem konkrete Lösungen für die Parksituation benannt werden – inklusive Plänen für Ladesäulen und Parkmöglichkeiten für Fahrräder, erzählt die Anwohnerin Bettina Rabe, die sich im Verein „Klimazone Findorff“ für die Verkehrswende im Stadtteil engagiert. Über den Betriebsplan sollte ursprünglich am Dienstag im Findorffer Beirat verhandelt werden. Ohne Kommentar sei der Tagesordnungspunkt gestrichen worden, so Rabe.
Konflikte in der Koalition
Nur wenige Wochen vor der anberaumten Sitzung tauchte ein Positionspapier mit dem Arbeitstitel „Parkfrieden“ auf. Das Dokument stammt aus dem Ressort von Ulrich Mäurer, Bremer Innensenator und selbst Anwohner in Findorff. Die Kritik: Die Ergebnisse aus dem anderen Bremer Modellquartier „Sunrise“ würden zeigen, dass der Verlust von Parkplätzen für einige Autofahrende „sehr belastend“ sei, außerdem würden Radfahrende auf frei gewordenen Fußwegen für neue Gefahren sorgen.
Der Lösungsvorschlag: Nur auf sehr schmalen Straßen die Parkplätze einschränken und sonst mindestens 1,5 Meter für Fußverkehr. Auf Bundesebene gelten 2,5 Meter als Regelmaß für barrierefreie Gehwege.
Dabei steht im Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grünen und Linken konkret: „Die Praxis des aufgesetzten Parkens wollen wir zurückdrängen und dazu das Gespräch mit den Beiräten suchen.“ Dass die Interessen der drei Parteien in der Koalition zu Konflikten führen, ist kein Geheimnis.
Schon 2014 wurde für Bremen ein Verkehrsentwicklungsplan erstellt, der über 190 konkrete Maßnahmen enthält. Umgesetzt wurde davon bisher nur ein Bruchteil, weiß die Mobilitätsexpertin Annika Fuchs vom BUND Bremen. Eine von der Bremer Bürgerschaft eingesetzte überparteiliche Enquetekommission erarbeitete im vergangenen Jahr ein umfangreiches Konzept, um Bremens CO2-Emissionen zu verringern. Dem Bericht zufolge ist Bremen nicht nur anderen Bundesländern, sondern auch der Bundesregierung an Ehrgeiz überlegen: Klimaneutralität soll schon 2038 erreicht werden.
Das Auto muss weniger attraktiv werden
Die Verantwortung für die Mobilitätswende trägt die Senatorin für Klimaschutz, Umwelt, Mobilität, Stadtentwicklung und Wohnungsbau, Maike Schaefer (Grüne). Es seien schon einige Weichen für die Verkehrswende gestellt, teilt die Pressestelle der Senatorin auf taz-Anfrage mit: „Ohne den Verkehrsversuch Martinistraße gäbe es jetzt keine Einigung auf zwei Fahrspuren. Das ist ein deutlicher Rückbau für den motorisierten Verkehr und ein wichtiger Zugewinn für Fahrradfahrer und Fußgänger.“ Bremen habe neue Straßenbahnen gekauft, 77 Millionen Euro in Elektrobusse investiert, Fahrradquartiere, Fahrradpremiumrouten und -brücken gebaut und geplant.
„Die größten Hürden sind sicherlich die Angst vieler Menschen vor Veränderung und das Beharrungsvermögen teilweise von Lobbyisten, von Teilen der Opposition, aber auch von Bürgerinitiativen, die den Klimawandel teilweise komplett ignorieren“, so die Pressestelle. Annika Fuchs vom BUND Bremen sieht die Verantwortung für den teils schleppenden Verlauf der Verkehrswende auch bei der Bremer Regierung: „Dadurch, dass die Koalition sich gegenseitig behindert, gibt es teilweise totalen Stillstand in der Verkehrswende.“
Untersuchungen zeigen, dass in Bremen zwar mehr Strecken mit dem Rad zurückgelegt werden als in vergleichbaren Städten, der Öffentliche Personennahverkehr aber mit 16 Prozent der zurückgelegten Wege weniger genutzt wird. Die PKW-Nutzung ist identisch. Mit einem stärkeren Bremer ÖPNV könnte sich das ändern. Dafür müsste aber gleichzeitig das Auto weniger attraktiv werden.
Das fordern auch die Anwohner:innen in Findorff. Der Versuch, sieben Jahre demokratische Deliberation auszuhebeln, sei höchst problematisch, schreibt ein Bündnis aus Initiativen in einer Stellungnahme. Der Senator für Inneres und die Mobilitätssenatorin wollen nun Ortsbegehungen veranlassen. Im Anschluss soll dem Beirat Findorff ein gemeinsames Konzept vorgestellt werden.
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