Verkehrsstudie für Baden-Württemberg: Kretschmann in der Klima-Bredouille
Eine Untersuchung fordert radikale Schritte zur CO2-Reduzierung. Busse und Autos sollten hauptsächlich Elektromotoren haben.

B14 in Stuttgart: Sechs von sieben Autos müssten weg Foto: dpa
KARSLRUHE taz | Man könnte meinen, Winfried Kretschmann ging schon mal mit gutem Beispiel voran. Am Tag, an dem Zeitungen eine bisher unter Verschluss gehaltene Studie veröffentlichten, nach der die Klimaziele des Landes Baden-Württemberg nur zu erreichen sind, wenn im Jahr 2050 mindestens 35 Prozent des Verkehrs zu Fuß stattfindet, startete Kretschmann seine jährliche Wandertour. 13 Kilometer ging der Grüne zusammen mit Bürgern über die Schwäbische Alb.
Tatsächlich kam die Veröffentlichung durch die Stuttgarter Zeitung Kretschmann höchst ungelegen. Konterkariert die Studie unter Federführung des BUND doch seine Bemühungen der letzten Monate, die Automobilindustrie in der Dieselkrise zu stabilisieren und den „sauberen Diesel“ als Übergangstechnologie anzupreisen. Die Zahlen lassen wenig Raum für Kompromisse, wie sie Kretschmann zwischen Klima und Mobilität sucht. Danach kann das Land seine Klimaziele bis 2050 nur erreichen, wenn Elektromobilität sowohl beim Individualverkehr als auch bei Bussen und Bahnen die beherrschende Technik wird.
Gleichzeitig muss der Anteil der fossil betriebenen Fahrzeuge drastisch sinken: der von Carsharing und privatem Pkw-Verkehr von heute 57 Prozent des Gesamtverkehrs auf nur noch 19 Prozent. Den Hauptanteil des Verkehrs würden dann mit 60 Prozent Fußgänger oder Fahrradfahrer ausmachen.
Erreichbar sei das nur durch „restriktive Maßnahmen“ wie eine „intelligente, von der Fahrleistung und ökologischen Kriterien abhängige Maut“, höhere Bußgelder, flächendeckendes Tempo 30, die Umwidmung von öffentlichem Parkraum und eine Reform der Dienstwagenbesteuerung, heißt es in der Studie.
85 Prozent weniger Autos
Das würde für Baden-Württemberg einen radikalen Umbruch bedeuten. Die Zahl der Pkws müsste sich bis 2050 um 85 Prozent verringern, mit entsprechende Folgen für Industrie und Arbeitsplätze. Diese könnten in vergleichbarer Zahl nur erhalten bleiben, wenn die Industrie rund um Stuttgart durch Forschung und entsprechende Fertigungstiefe gesichert werde. Die Studie legte noch einmal offen, wie stark das Leben im Südwesten heute vom Automobil geprägt ist. So ist der Autobestand mit 580 Pkws auf 1.000 Einwohner deutlich höher als im Bundesschnitt (532 Autos).
Es dürfte der Regierung schwerfallen, die Studie als Einzelmeinung eines Naturschutzverbandes abzutun. Auftraggeber ist die Landesstiftung Baden-Württemberg. Deren Vorsitzender heißt Winfried Kretschmann.
Leser*innenkommentare
Energiefuchs
Kognitive Dissonanz allerorten.
wxyz
Langsam wird es brenzelig, denn es spricht sich herum, daß Feinstaub, Stickoxyde und diverse andere Substanzen bei entsprechender Konzentration die Lebenserwartung dramatisch absenken können.
Solange dies nur die verminderte Lebenserwartung durch unzureichende Einkommen betraf, war so etwas kein Thema. Aber nun geht es ja nicht nur um die Armen im Volk, sondern um alle, insbesondere auch um die Lebenserwartung der Macher. Und da wird man dann ganz schnell extrem sensibel.
So etwas ist für jede Regierung schlecht. Die einen sind sauer, weil sie früher sterben müssen, und die anderen sind sauer, weil ihre Rendite gefährdet sind.
Doch nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Auch der Dieselbesitzer ist gegen die Luftverschmutzung durch Dieselfahrzeuge - mit Ausnahme der Probleme, die durch sein eigenes Fahrzeug entstehen.
Philippe Ressing
...na und, das interessiert den Mischterpräsidenten des Autolandes BdnWrtmbrg (Vokale eingespart) einen feuchten Kehricht. Es geschieht ja nicht zum ersten mal in der Politik, dass unerwünschte Forschungsergebnisse entstehen und dann im Giftschrank verschwinden. Aber gemach, Landesvater Kretsch wandert jetzt durch's Ländle und die Suttgarter Zeitung notiert ehrerbietig: "Die Strecke zwischen den Touren will er im Elektroauto fahren" - soll ihn doch der Kurschluss heimsuchen!