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Verkehrsplaner zur IAA„Fetisch individuelle Mobilität“

Verkehrsplaner Michael Mögele beteiligt sich am Gegenkongress zur IAA. Die Autoindustrie nur als Feindbild zu sehen, findet er aber problematisch.

So stellt sich Mercedes die Zukunft vor, Automobilmesse IAA 2021 Foto: Smith/imago
Katharina Schipkowski
Interview von Katharina Schipkowski

taz: Herr Mögele, die IAA will jetzt keine Automesse mehr sein, sondern ein „Mobilitätsevent“. Hat die Industrie die Zeichen der Zeit erkannt?

Michael Mögele: Wie man in München dieser Tage sehen kann, hat die Gesellschaft die Zeichen der Zeit durchaus erkannt – die Messe wird von institutionalisierten Protesten wie Gegenkongressen begleitet. Von der Industrie kann man das nicht unbedingt behaupten. Der Verband der Automobilindustrie schreibt der individuellen Mobilität immer noch einen überhöhten Stellenwert zu. Das sind nicht die Zeichen der Zeit.

Was ist an individueller Mobilität schlimm? Ein Fahrrad dient ja auch der individuellen Fortbewegung.

Aber die Industrie fetischisiert das Individuelle geradezu, und das ist problematisch. Mobilität hat immer Konsequenzen für Menschen und Natur, beabsichtigt oder unbeabsichtigt. Es geht dabei auch um Raumknappheit und Ressourcenknappheit. Der Industrie geht es hauptsächlich darum, ihren wirtschaftlichen Fortschritt zu sichern, aber das ist nur ein Aspekt von vielen, und der funktioniert natürlich am besten, wenn jeder sein eigenes Gerät besitzt.

Bild: Archiv
Im Interview: Michael Mögele

29, promoviert an der Ludwig-Maximilians-Universität München zum Strukturwandel in der Autoindustrie und wurde vom Kolleg „Mobil.lab“ der Hans-Böckler-Stiftung gefördert.

Die Messe behauptet, auf dem direkten Weg in eine CO2-neutrale Zukunft zu sein. Was ist da dran?

Wenn diese Zukunft durch eine „klimaneutrale Automobilität“ verwirklicht werden soll, haben wir nichts geschafft. „Klimaneutral“ wird meist reduziert auf eine CO2-Bilanz. Das ist aber verkürzt, es hängt zum Beispiel auch der Ressourcenverbrauch in der Produktion daran. Die Zukunft der Mobilität wird einfach nicht die Automobilität sein.

Wie groß ist die Bereitschaft in der Branche, sich vom eigenen Auto als zentralem Transportmittel abzuwenden?

Der Wille zur Abkehr vom eigenen PKW wird da sein müssen. Nur ist das eben der Kern des Geschäftsmodells der letzten Jahrzehnte, deshalb ist es so schwierig. Das Leitbild war: Man ist individuell mobil, das bedeutet Fortschritt, man kann ein selbstbestimmtes mobiles Leben führen, und das hängt am eigenen PKW.

Woher soll der Druck auf die Branche kommen? Die meisten Haushalte werden ihr Auto nicht freiwillig abschaffen.

Viele Haushalte haben ja gar kein Auto. Das wird zwar immer anders dargestellt, aber zum Beispiel sind in München 44 Prozent der Haushalte autofrei. Der Druck muss von unten und oben kommen. Die Beschäftigten müssen Druck machen und die Proteste müssen sie einbinden. Von politischer Seite muss man sich damit auseinandersetzen, dass Mobilität reguliert gehört.

Welche politische Vorgabe müsste sofort umgesetzt werden?

Bei Tempolimits gibt es keinen rationalen Grund, sie nicht einzuführen. Es wäre auch eine Ansage an die Produktion, es würde ja keinen Sinn mehr ergeben, dass ein Auto 250 fahren kann. Aber das wird sich nach der Bundestagswahl zeigen. Darüber hinaus ist die Mobilitätswende eine gesamtgesellschaftliche Frage, sie kann nicht nur auf politischer oder nur auf Konzernebene gelöst werden, sondern gemeinsam.

Das heißt auch: mit der Autoindustrie, nicht gegen sie, wie die Protestierenden proklamieren?

Plakative Slogans wie „Die Macht der Konzerne brechen“ sehe ich kritisch. Für die Antwort auf die Frage „Wie soll die Mobilitätsindustrie aussehen?“ sind sie nicht zielführend. Man muss sich eher fragen: „Was möchte ich mit meiner industriellen Produktion erreichen?“ Und dann zusammen Lösungen finden.

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11 Kommentare

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  • 0G
    02854 (Profil gelöscht)

    Naja, egal was gemacht wird mit der Mobilität in Zukunft. Es wird eine reiche Schicht geben die weiterhin (E-)Autos fährt und der Pöbel der zu Fuß, per Fahrad, im überfüllten ÖPNV oder vielleicht noch mit billigen Sharing-Angeboten seine Mobilität ausleben darf.

  • Und die Autozahlen in München pro Haushalt in allen Ehren, aber wir reden hier über ein Land, in dem auf 100 Haushalte 107,9 Autos kommen!

    Einen technologischen Wandel bekommen sie wahrscheinlich leichter hin, als den kompletten Verzicht. In jedem Fall muss es sich aber nach Fortschritt anfühlen!

  • Ist es wirklich so verwunderlich, dass ein Verband die Interessen seiner Mitglieder und dessen Mitglieder ihr Geschäftsmodell pflegen?

    Echt jetzt! Die Entwicklung der absoluten Fahrzeugzahlen auf unseren Straßen deutet im übrigen auch keine Trendwende an, entgegen allen Lippenbekenntnissen.

    Quelle:



    de.statista.com/st...nd-in-deutschland/

    Das Auto wird wohl bleiben, sollte es autonom werden, könnten es im Sharing deutlich an Attraktivität gewinnen. Und dann könnten die Zahlen wirklich sinken, wenn es zu einer Leistung on-Demand wird.

  • > "Was ist an individueller Mobilität schlimm?"

    Ganz prinzipiell ist es so: Schnelle Individualfahrzeuge brauchen viel Platz, wenn sie sicher sein sollen, egal ob Auto, Motorrad, e-Motoorad, Tragflügelboot, Privathubschrauber, oder S-Pedelec.

    Und zum einen braucht schnelle Bewegung relativ viel Energie. Aber zum andern, und das ist prinzipbedingt, ist Platz ist in Städten begrenzt. Städte leben ja gerade davon, dass auf engem Raum vielfältiger Austausch, Interaktion, Geschäfte und Kontakte möglich sind, die auch grundlegende Dinge wie Arbeitsteilung erst ermöglichen.

    Brauchen die Verkehrsmittel zu viel Platz, so zerfallen die Städte.

    Ein weiterer Punkt ist, wie Verkehrsforscher herausgefunden haben, dass die Schnelligkeit der Transportmittel nicht etwa dazu genutzt wird, weniger Zeit mit Transport zu verbringen, sondern statt dessen die Menschen in der vorhandenen Zeit weitere Wege zurück legen. Wer in den 1950er Jahren im Urlaub eine Fahrradtour mit der Familie gemacht hätte, fliegt jetzt etwa beispielsweise nach Thailand. Und das gilt auch für tägliche Wege.

    Der schnellere Transport ist aber nicht menschengerecht oder angenehm. So gut wie niemand freut sich darauf, morgens auf dem Weg zur Arbeit eine halbe Stunde auf der Autobahn zu verbringen.

    Wie es anders sein kann, sieht man hier:

    youtu.be/n-AbPav5E5M?t=3

    • @jox:

      "So gut wie niemand freut sich darauf, morgens auf dem Weg zur Arbeit eine halbe Stunde auf der Autobahn zu verbringen"

      Aber auch so gut wie niemand freut sich darauf, morgens eine halbe Stunde in der Regionalbahn eingequetscht zu sein. (oder in den 50er Jahren, eine halbe Stunde im Regen zu Maloche zu radeln).

      Das Auto ist dagegen eine Erweiterung der privaten Komfortzone. Deshalb ist es so erfolgreich.

      • 6G
        68514 (Profil gelöscht)
        @fly:

        Und die Kosten für Autos sind viel zu niedrig, deswegen funktioniert das Ganze auch in der Form. Wenn wir über Kosten reden, müssen wir endlich dazu kommen, alles einzubeziehen, worauf Autoverkehr Einfluss hat. Und da wären z.B. die Kosten für Beseitigung von Umweltschäden sowie die Kosten zur Behandlung gesundheitlicher Auswirkunden. Da kommt eine Menge zusammen, was letzlich auf alle Steuerzahler sowie Krankenversicherungs-Beitragszahler gestemmt werden muss. Und unter denen Steuerzahlern und Beitragszahlern gibt es jede Menge Nicht-Autofahrer.

      • @fly:

        Erweiterung der privaten Komfortzone.....? Ja, klar, das gefällt vielen. Dass sie damit in die Komfortzone anderer einbrechen, das muss man denen halt immer öfter klar machen. Wenn ganze Regionen mit Krach überzogen werden, just for fun, mit Motorrädern und getunten Karren, wenn Straßen in Städten nicht lebenswert sind, weil Monsterkarren zu Hauf rumstehen usw. usw.

      • @fly:

        > Das Auto ist dagegen eine Erweiterung der privaten Komfortzone. Deshalb ist es so erfolgreich.

        Diese Art von Komfort macht auf eine unmerkliche Weise sehr abhängig. Zum Teil liegt es daran, dass wir evolutionär nicht dafür programmiert sind, uns unnötig anzustrengen. In der Vorzeit gab es ja nie einen Überfluss von Energie in Form von Nahrung. Heute führt das zu Bewegungsmangel.

        Aber darüber hinaus führt diese Abhängigkeit auch zu vielfach verzerrten Wahrnehmungen, was angenehm und möglich ist. Etwa so wie bei Rauchern, die, als es noch erlaubt war, sich nicht vorstellen konnten, um Zug nicht zu rauchen. Nachdem es aber verboten wurde, stellten sie fest, dass es doch nicht so wichtig war: Fast niemand steigt zwischendurch aus dem Fernzug und wartet eine Stunde auf den nächsten, um eine Zigarette zu konsumieren. In ähnlicher Weise sind wir psychisch abhängig vom Auto und seinem Komfort.

        Hermann Knoflacher erklärt hier, womit das zusammen hängt:

        www.moment.at/stor...trassen-mehr-bauen

        Zu den vielen Dingen, die dabei hinten runter fallen, gehören die wachsende Unwirtlichkeit und Wüstenhaftigkeit unserer Städte, und die Mengen an Geld, die Menschen fürs Auto ausgeben, oft ohne es voll zu bemerken. ÖPNV gilt beispielsweise als sehr teuer, aber die durchschnittlichen Ausgaben für ÖPNV betragen weniger als ein Zehntel der durchschnittlichen Kosten fürs eigene Auto.

      • @fly:

        > "eine halbe Stunde im Regen zu Maloche zu radeln"

        Das ist, wenn man sich mal um passende Kleidung gekümmert hat, im Wesentlichen eine Gewohnheitsfrage. Beim Radfahren bewegt man sich ja und das hält warm.

        Ich hatte noch nie ein Auto, radel seit 35 Jahren zur Arbeit bzw wo ich sonst hin muß, und ich kann Ihnen versichern, es macht mehr Spaß auf dem Rad, und ist sehr viel gesünder.

        > Das Auto ist dagegen eine Erweiterung der privaten Komfortzone.

        Es ist eine Art von Komfort, die sehr abhängig macht. Was mir auch aufgefallen ist: Fragt man Autofahrer nach dem Weg und wie weit/lange es irgendwo hin ist, überschätzen sie meistens die Dauer eines Fußwegs oder einer Radstrecke. Wahrscheinlich weil sie ihre eigene Geschwindigkeit deutlich überschätzen. Autos in der Stadt haben auf normalen Straßen eine Durchschnittsgeschwindigkeit von wenig über 30. Das ist nicht viel schneller als ein eBike. Auf dem Rad fahre ich, ohne mir irgendwelche Mühe zu geben, einen gemütlichen Schnitt von 18 km/h.

      • @fly:

        Die 20 Minuten radln finde ich eigentlich ganz entspannend am Morgen. Aber ich bin ein Landei und muss das nicht in der Stadt auf engen Radwegen, sondern darf auf der Straße fahren.

  • > "Viele Haushalte haben ja gar kein Auto. Das wird zwar immer anders dargestellt, aber zum Beispiel sind in München 44 Prozent der Haushalte autofrei."

    Diese Menschen sehen sich, wegen der Kopplung vom Auto an Status, allzu oft selbst als defizitär - sind aber in Wirklichkeit auf der Höhe der Zeit. Und die meisten wissen gar nicht, wie viele wir sind! Spannende Webseite zum Thema: www.autofrei.de