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Verhindertes EuropaFrankreich macht die Grenze dicht

Zum Theaterfestival nach Grenoble kann „Das letzte Kleinod“ aus Fischdorf nicht fahren: Dort dürfen die jungen Flüchtlinge nicht einreisen

Abdu flieht durch die Wüste nach Europa – aber nicht nach Frankreich. Foto: Hausmann

BREMEN taz | Abdus Geschichte beginnt in Afrika, im Sudan, aber sie ist längst, vielleicht immer schon, eine europäische Geschichte. Vor rund vier Jahren ist er von einem Camp in Dafur aufgebrochen, allein, in dem er zuvor elf Jahre mit seiner Familie gelebt hatte: Mal war es von Rebellen überfallen worden, mal von der Polizei.

Beide misshandeln ihn, wollen ihn zwangsrekrutieren. Quer durch die Sahara, über Libyen, in einem kleinen Kahn mit 300 Menschen flieht Abdu aufs Meer. Die italienische Küstenwache bringt sie an Land. Polizeilich erfasst wird Abdu erst später in Rosenheim, Bayern.

Im Herbst 2014 kommt er nach Schiffdorf im Landkreis Cuxhaven. Da lebt er jetzt. Status: Asylbewerber, seit zwei Jahren. Und er tritt dort im Freiluftstück „November und das Wetter“ auf, als er selbst: „Sudan“, so heißt seine Szene.

Ein europäisches Projekt

Und wie er seine Geschichte spielt, das hätte man gerne auch in Clermont-Ferrand erlebt. „Die Produktion“, sagt Jean-Claude Gal, Direktor des Théâtre du Pélican, „hat große Bedeutung für unser Festivalprogramm.“ Schon kommende Woche, am 17. Mai, beginnt das „Generation to Generation“, kurz: G2G. Es ist ein europäisches Projekt.

In dessen Rahmen sollten sich Produktionen aus Ljubljana und Amsterdam in der Rhône-Alpen-Region vorstellen und eben die Schiffdorfer Kompagnie „Das letzte Kleinod“. Für ihren stets aktualitätsbezogenen, ästhetisch eigenständigen dokumentarischen Ansatz hat sie gerade erst den Theaterpreis des Bundes bekommen, 75.000 Euro.

Aus ihrer „regionalen Verortung heraus“ habe die Gruppe „neue, zeitgemäße Formate zum hochaktuellen Thema Flucht und Vertreibung entwickelt, die sie auch in internationalen Kooperationen umsetzt“, lobte die Jury.

Aus Frankreich wird nichts

Mit den Niederlanden und einem afghanischen Darsteller war das im vergangenen Jahr kein Problem, sagt Juliane Lenssen, die mit Jens-Erik Siemssen das Kleinod leitet. Aber aus der Reise nach Frankreich wird nichts. Denn weder für die Ehre noch für gute Worte noch für Geld lässt sich ein Frankreich-Visum für Abdu bekommen.

„Dem Schengener Abkommen nach braucht jeder Nicht-EU-Bürger einen gültigen Reisepass und einen von einem Schengener Staat erteilten gültigen Aufenthaltstitel“, informiert der Sachbearbeiter Mitte April. „Ich sehe, dass Herr Abdu Asylbewerber ist. Das heißt, er hat wahrscheinlich keinen Reisepass, daher darf er nach Frankreich bzw. andere Schengen-Staaten nicht reisen.“

Klar interveniert Gal sofort von Frankreich aus. Genauso setzt Lenssen alle Hebel in Bewegung: Das Landratsamt zeigt sich kooperationswillig. Aber ohne Einreisegenehmigung im Zielland könne man keine vorläufigen Papiere ausstellen. Auf Bitte des Institut Français beugt sich schließlich die Leiterin des französischen Generalkonsulats über die Unterlagen.

Aber „trotz der großen Chance für Ihre Gruppe und für den Schauspieler sowie der künstlerischen Qualität des Vorhabens“, heißt es im Schreiben nach Fischdorf, habe sie „feststellen müssen, dass die Richtlinien eine Zulassung auf französischem Boden nicht zulassen“. Verfasst ist das Schreiben am 9. Mai – Europatag.

Unsere Freiheit ist zerbrechlich

„Wir erleben, wie zerbrechlich unsere Freiheiten geworden sind“, sagt Gal, „dass es nicht mehr selbstverständlich ist, dass junge Menschen unbefangen durch Europa reisen.“ Und wie die Atmosphäre des Misstrauens uns blockiert: „Die Nachrichtenlage beeinflusst solche Entscheidungen.“

Abdu war gefoltert worden – mal im anlasslosen Verhör von der Polizei, mal von den Rebellen. „They beat him, many hours. And everytime one police man is coming, asking him“: unverfälscht, ungeschönt, so wie er es in Interviews in einem hilflosen Englisch formuliert hatte, so steht es auch im neu für die Frankreich-Fahrt bearbeiteten Text: „And then this go and the other one is coming for asking him. And beat him and to ask him.“

Seine Zähne sind ihm ausgetreten worden: „The shoes of a soldier, boots. They knocked out his teeth.“ Als Abdu das Bewusstsein verliert, lassen seine Peiniger von ihm ab. So findet ihn seine Mutter. Sie drängt ihn zur Flucht: „Also the government, they didn’t give us the passport“, erklärt Abdu im Stück, die Regierung gab uns nicht den Pass. „Nobody has passport.“

Ohne Abdu, das ist klar, wäre der Flug nach Clermont-Ferrand sinnlos. „Wir haben das Stück fürs G2G noch stärker auf ihn zugespitzt“, sagt Lenssen. „Er ist wirklich unsere Hauptfigur.“ Man dürfe, sagt Gal, nie aufhören zu hoffen. Aber die Zeit ist zu knapp: Bis zum 17. Mai, ist es nicht einmal mehr eine Woche. Und dazwischen sorgt Pfingsten, das christliche Fest der Verständigung über alle Grenzen hinweg, für einen zusätzlichen Tag Stillstand in den Behörden. „Was uns als Festival bleibt, ist, diese Leerstelle im Programm offensiv als Zeichen zu kommunizieren“, sagt Gal. Ein Zeichen der Trauer für die Idee Europa.

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