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Verhandlungen um EU-SpitzenämterSchachern ist nichts für Dumme

Jan Feddersen
Kommentar von Jan Feddersen

In der EU wird um die besten Posten verhandelt – manche sagen: „geschachert“. Aber was heißt das eigentlich? Und ist das so schlimm?

Schachert mit: die Kanzlerin Foto: reuters

W ahrscheinlich kursiert in rechten (und manchen linken) Foren aktuell das Wort „schachern“ heftig. Es ist eine Vokabel mittelalterlicher Herkunft, eine aus dem Rotwelschen, der Gauner*innensprache, dem Idiom der Gosse. Jiddisch wurde es benutzt: Schachern ist die Fähigkeit des Händlers oder der Händlerin, um ein Gut einen Preis zu erzielen. Alle Beteiligten am Schachern haben sich, haben sie das Gegenüber der Verhandlungen im Blick, am zivilisierten Miteinander geeinigt. Die höchsten Stufe des fairen Umgangs ist erreicht, wenn alle etwas aus dem Topf abbekommen. Handel statt Händel, Austausch statt Streit.

Ein solches Postengeschacher ist nichts schlimmes, deshalb ist das, was in Brüssel im Herzen des EU-Gebäudeensembles stattfindet, das, gemessen an den europäischen Bürger*innenkriegen des 20. und 19. Jahrhunderts, verglichen auch mit dem Dreißigjährigen von 1618 bis 1648, das demokratischste Procedere, das aktuell denkbar ist. Die EU ist ein politisch seltsames Gebilde, sie ist eine Union, ein Zusammenschluss, aber in ihr existieren die Nationalstaaten weiter – und nach allem, was man politisch wissen kann, werden gerade die osteuropäischen und postsowjetischen Länder ihre nationalstaatliche Autonomie auch nicht aufgeben wollen.

Verhandlungen um Posten, ob nun auf niederer oder höchster Ebene, sind sowieso nicht die Ausnahme, sondern die Regel, in jedem Alltag, in der Politik aber besonders. Ehe ein Regierungssprecher auch nur ein Muckserchen über das neue Kabinett verkündet, sind diesem Sprechakt in Hinterzimmern mannigfaltige Verhandlungen vorausgegangen. Dort wurden Regional- und Geschlechtsproporze, Altersaspekte und Professionalitätserwägungen erörtert, dort sind mithin Fragen der Diversität zur Debatte gestellt worden: Rücksichtnahme ist die wichtigste Tugend eines jeden Geschachers.

In der EU, siehe: Autonomie ihrer Staaten in der Union, wird tüchtig gepokert, finassiert, an- und getäuscht – aber immer mit dem Ziel von allen 28 Mitgliedsländern und ihren Delegierten, dass möglichst fast alle sich mitgenommen fühlen. Außerdem, gemessen an innerparteilichen Verhandlungen um Minister*innenämter ist das, was die EU aktuell in ihrer Personalpolitik aufführt, wahnsinnig transparent.

Demokratie ist ein Verfahren, bei dem die beteiligten Bürger*innen einen möglichst stimmigen Eindruck von seinem Funktionieren haben müssen

Demokratie bis in die letzte Pore

Demokratie ist, so darf man lernen, ein Verfahren, bei dem die beteiligten Bürger*innen einen möglichst stimmigen Eindruck von seinem Funktionieren haben müssen – einen stimmigen, wie gesagt, keinen perfekten. Vollendung, Demokratie bis in die letzte Pore gibt es nicht. Die ersten der höchsten Posten in der EU und ihrer Vorläuferinstitutionen (in der EWG beispielsweise, der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft) wurden noch gänzlich ohne das EU-Parlament vergeben.

Jetzt ist es anders. Man muss Spitzenkandidat einer der Parteienblöcke gewesen sein, um ins Rennen um die Jean-Claude Juncker-Nachfolge zu gehen. Formell ist das nicht zwingend: Am Ende entscheiden die Regierungschefs der EU-Mitglieder – aber, so lernte jetzt Emmanuel Macron, das Spitzenkandidat*innenprinzip für nichtig zu erklären, hülfe für den aktuellen politischen Moment, nicht jedoch für die nächsten Jahre.

Ein gelingendes Geschacher funktioniert immer als Kompromiss, der beim Verhandeln als Tugend, nicht als notwendiges Übel gilt

Denn das ist ja ebenfalls ein Teil des unheimlichen Geheimnisses des Schacherns um Posten: Man erzielt ein Ergebnis – und wenn eine mitschachernde Person über den Tisch gezogen wurde, merkt sich diese das und wird Vergeltung üben wollen. Das wiederum desintegrativ, deshalb funktioniert ein gelingendes Geschacher immer als Kompromiss, der beim Verhandeln als Tugend, nicht als notwendiges Übel gilt. Merke: Man ssieht ich immer zwei Mal – in der EU sogar öfter, sehr viel öfter.

Die EU verkörpert das aktuelle Optimum demokratischer Partizipation. Ein Optimum markiert immer das, was geht, nicht das, was traumschlösserisch mal gehen könnte. Zur Stunde fühlen sich Länder wie Polen, die Slowakei, Tschechien und Ungarn nicht repräsentiert. Einer wie Donald Tusk wird herausfiltern müssen, was nun noch gehen kann. Den Viererblock spalten, etwa mit Subventionsverheißungen? Vieles (nicht: alles) ist möglich – sogar, dass Frans Timmermanns Junckers Nachfolger wird.

Auf dem Schachbrett demokratischer Verhandlungen ist die Lage noch unübersichtlich, bis Dienstag, oder Mittwoch oder ein paar Tage danach. Schachern ist nichts für schwache Nerven, nichts für Dumme.

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Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin,und des taz Talks, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders des Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan, aktuell auch noch Bayer-Leverkusen-affin. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!
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10 Kommentare

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  • & Däh & nochens - Mailtütenfrisch -

    “Ist JAF jetzt für die Hauptabteilung Satire zuständig?"

    Tja - maa waas es nich! But. 👹



    Muttis - v.d. Lie-ing-Rochade - is on the top - für den Europe Rochus-Son-Hals-Scheiß-Preis 💩 💩 💩

    Na Mahlzeit 🍳 heiß - Aber sowas von voll 😈

  • Mit einem Worte: "Schachertorte"

    Däh&Zisch - klar - Mailtütenfrisch

    • @Lowandorder:

      Goldene Worte Goldene Worte - einst



      Gernhardts Robert frech befund -



      Dera legend olle Jöhten in sei 👄



      Der aber bekundet - Ungewiller -



      Wegen sei grad locker Flöten



      Auf Schiller sei - öh Piller.



      Pa da da dam - Pa da da dam 🎶🎶🎶

      kurz - Möge dieser schöne Götterfunke



      …vs feigtumb Traumschlössergeunke!



      Einst Europa demokratisch winke - &



      Sei Parlament nich mehr soo arg hinke.

      Dann erfülln sich Jöhtens golden Worte



      Zur EU-Demokratie matérialiste - 😎



      Kaa Geschacher - Nö. Richtig lecker 🎂

  • kurz - “Mehr Demokratie wagen.“ Liggers - Willy - Schön wärs 😈

    Aber was nützen Tiger im Tank.



    Wenn traumschlösserische Esel am Steuer sitzen?



    Eben - Nix für schwache Nerven.



    Nö. Schwach ist nur die hier gewohnt demokratiedünne Gummibärchensuppe. 😎

    unterm——vgl Tom Touchè - Classics 'im Urlaub'



    “Herr Ober! Da ist Spam in meiner Suppe!“ 🍜 🎭

    kurz - Voll der Schacher - kerr.

    ——



    Scha·cher



    /Schácher/



    Substantiv, maskulin [der]ABWERTEND



    von Gewinnsucht, von kleinlichem, hartnäckigem Streben nach dem größtmöglichen Vorteil bestimmtes Aushandeln von Preisen, von geschäftlichen Abmachungen“ wiki

    Na Mahlzeit - Voll die Nerven

    • @Lowandorder:

      & als Schlagobers - mal dess - Zitat 👹

      “Die Kommission mußt du dir vorstellen: Wie das Stein-Hardenbergsche Reformkabinett.



      Hochgebildet - Hochintelligent - Hocheffekitv - Hochökologisch - weil sie wissen - da kannste ganz viel Geld mit verdienen!



      &



      Komplett - undemokratisch!“ Zitatende



      Eines hochdotierten Eurokraten.



      &



      Natalije un nu komms du.

      • @Lowandorder:

        & womer grad am Geschichtsklittern -

        Die Stein-Hardenbergschen Reformen -



        Wurden - hört hört - im Osten - bei den



        Estelbischen Krautjunkern (beginnend mit Meckelnbörg - Land ohne Verfassung - ja ja) nie umgesetzt.



        Die steigbügelhaltnerischen Folgen -



        Sind bekannt.



        &



        Deswegen bestand Gorbi bei 4:2 auch darauf - daß deren Enteignungen/DDR nicht rückgängig gemacht würden.



        &! Däh!



        Karlsruhe segnete dess zwar ab. Doch!



        Doch die bekannten Steigbügelhalter von CDUCSUFDP - halfen den Krautern wieder in den Sattel. 👹 …dumm gelaufen. Normal & Schonn & Njorp.

        Liggers. But. Unser Traumschlößner:

        Tja - “Schachern ist nix für Dumme.“



        Liggers - JAF JAF JAF

        Ende des Vorstehenden

        • @Lowandorder:

          “…in den Sattel …“ mittels zinsloser Kredite - tja wer solche Freunde hat.



          Newahr. Normal 👹

        • @Lowandorder:

          💩 & Sorry - I forgot -

          de.wikipedia.org/w...3%9Fische_Reformen

          & unverzichtbar - als Starterkit -



          Max Lehmann "Bismarck. Eine Charakteristik"



          “Max Lehmann (1845-1929) widersprach mit seiner Bismarck-Vorlesung an der Universität Göttingen seit 1906 der landläufigen Glorifizierung des Reichs- gründers. Er gilt als der bedeutendste und profundeste Kritiker borussischer Geschichts- schreibung. Im Dezember 1906 schrieb er: „Bis jetzt bin ich wegen der in meiner Bismarck-Vorlesung begangenen Ketzereien noch nicht gesteinigt, aber man soll den Tag nicht vor dem Abend loben.“



          Lehmann weist Bismarcks „Blut- und Eisen-Politik“ - von 1862 bis 1871 als demokratiefeindlich, engstirnig preußisch und kriegerisch zurück. Sie führte im Hohenzollernreich zum Triumph des Schwertglaubens über das zivile Denken. Fortan existierte auch die europäische Mächtekonstellation des Wiener Kongresses nicht mehr. An die Stelle des friedens- bewahrenden, übernationalen Deutschen Bundes setzte Bismarck das von Preußen eroberte kleindeutsche Reich als den stärksten Staat Mitteleuropas – eine waffenklirrende Macht, die den Krieg zur „Kulturerrungenschaft“ erklärte. Kenntnisreich, sprachgewandt, scharfsinnig sowie mit glänzend treffenden Formulierungen trägt Lehmann seine klugen und unbestreitbaren Einsichten vor und charakterisiert Bismarck als einen Gewalt- und Machtpolitiker, der weit über seine Kanzlerschaft hinaus gewirkt hat. Nicht nur, aber auch im Jahr der Feiern zum 200. Geburtstag Bismarcks empfehlenswert.“

          Ende der Werbeeinblendung 😎

          • @Lowandorder:

            Danke dafür. Von Lehmann wußte ich bisher nicht.

            • @Wurstprofessor:

              Leg ich gern mit - klar - Rudolf Walther nach -

              “200 Jahre Bismarck Blut und Eisen



              Seiner Zeit voraus: Der Historiker Max Lehmann legte bereits Anfang des 20. Jahrhunderts Otto von Bismarcks Gewaltpolitik bloß.“

              taz.de/Archiv-Such...ehmann%2BBismarck/

              Nochmals 🙏 - & gut lesbar.