Verhaftungswelle in der Türkei: „Cumhuriyet“ baut auf Solidarität
Auch nach der Festnahme von 13 Mitarbeitern macht das Traditionsblatt weiter. Die Dienstagausgabe erscheint mit dem Titel „Wir geben nicht auf“.
Vor etwa einem Jahr sah die Cumhuriyet-Zentrale von außen genauso aus wie heute. Polizei sperrte die Straße mit gepanzerten Fahrzeugen ab und Menschen riefen Parolen, wonach Cumhuriyet von seinen Unterdrückern zu befreien sei. Seit Montag sitzt der Chefredakteur wieder hinter Gittern. Es scheint, als seien der Regierung die Feinde ausgegangen.
Der stellvertretende Premierminister Numan Kurtulmus sagte, dass dies keine Operation gegen Cumhuriyet gewesen ist, sondern eine gegen die Stiftung, der Cumhuriyet gehört. Premierminister Binali Yıldırımwar ehrlicher. Angesichts von Kritik aus dem Westen schlug er im Stil seines Mentors Rezep Tayyip Erdoğan zurück: „Die Türkei ist kein Land, das sich von Drohungen zurechtweisen lässt. Wir werden nicht von euch ‚Pressefreiheit‘ lernen. Wir werden diejenigen, die ganz offen Fetö (die Gülenisten) unterstützen, nicht straflos davonkommen lassen.“
Aus der Sicht jener Medien, die es sich im Schoße der Regierung bequem gemacht haben, waltet nun Gerechtigkeit. „Operation gegen die Terrorfestung“, lautet eine Schlagzeile. Aber die Festung ist noch nicht vergiftet. Studenten, Politiker, Journalisten, Aktivisten, Rentner – jeder, der bereit ist, Stellung zu beziehen, ist da. Es werden Lieder voller Stolz und Empörung gesungen, es werden Nächte im Freien unter Decken verbracht, denn sie wissen, dass die Regierung nur den richtigen Moment abwartet, um erneut zuzuschlagen
„Wir geben nicht auf“
Und die Zeitung lebt. Am Dienstag erschien sie mit der Schlagzeile „Wir geben nicht auf“. Dort, wo sonst Kolumnen der jetzt Festgenommenen stehen, zeugen weiße Flecken von dem Polizeieinsatz und den 13 Festnahmen.
Ozan, der wie andere Kollegen seinen Nachnamen nicht veröffentlicht sehen möchte, arbeitet seit zehn Jahren bei Cumhuriyet. Er leitet das Inlandsressort. Er arbeitet an diesem Dienstag genauso hart wie an jedem anderen Tag an der Zeitung. Seine Kollegen sind im Gefängnis, seine Unterstützer sind auf der Straße.
„Es ist im Moment nicht klar, was in den Köpfen jener vorgeht, die darauf versessen sind, Cumhuriyetzum Schweigen zu bringen“, sagt er. „Wir wissen nicht, ob sie unseren Vorstand auswechseln oder uns schließen wollen. Was können wir angesichts der Tyrannei noch aushalten? Wie ertragen wir es, wenn unsere Zeitung, die unsere Heimat ist, geschlossen wird? Aber wir kämpfen noch. Solange diese Leute, die draußen stehen und die ganze Nacht warten, uns trotz der Raserei der Polizei schützen; solange sich weltweit Stimmen erheben, so lange gibt es Widerstand. Das gibt uns Hoffnung.“
Buchhalter Necati
Canan ist Gerichtsreporterin für Cumhuriyet. Sie steht demnächst selbst vor Gericht, der Staatsanwalt fordert für sie 23 Jahre Haft wegen eines Artikels darüber, wie Staatsanwälte Luxuswohnungen zu Sonderpreisen erwarben. „Ich war noch nie so tief besorgt wie heute“, sagt sie. „In der Türkei ist jetzt alles möglich. Wir machen weiter unsere Arbeit, so gut wie wir können, denn es gibt keinen Grund für uns, uns zu beugen.“
Necati, seit 12 Jahren Buchhalter bei Cumhuriyet, ist wütend. Seine Chefin Günseli Ozaltay gehörte zur letzten Gruppe von Verhafteten. Er sagt: „Die AKP-Herrschaft wird kommen und gehen, aber Cumhuriyet wird bleiben. Wir werden nicht aufgeben. Nichts ist vorbei.“
Ali Çelikkan ist Cumhuriyet-Reporter und derzeit Gastredakteur der taz. Aus dem Englischen von Dominic Johnson.
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