Umstrittenes Flüchtlingsabkommen: Türkei droht der EU
Noch vor Ende des Jahres will Ankara den Deal aufkündigen, sollte die Visafreiheit nicht umgesetzt werden. Die EU hatte sie unter Bedingungen zugesichert.
ZÜRICH/ISTANBUL dpa | Die Türkei hat der Europäischen Union mit der Aufkündigung des Flüchtlingsabkommens noch vor Ende dieses Jahres gedroht, sollte ihre Forderung nach Visafreiheit für türkische Bürger in der EU nicht bald erfüllt werden. Im Land gehen unterdessen Massenentlassungen weiter.
„Unsere Geduld neigt sich dem Ende zu“, sagte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu in einem am Donnerstag veröffentlichten Interview der Neuen Zürcher Zeitung. „Wir warten auf eine Antwort (der EU) in diesen Tagen. Wenn die nicht kommt, werden wir die Vereinbarung kündigen.“
Die Türkei habe auf Forderungen aus Brüssel reagiert und ihre Anti-Terror-Gesetzgebung geändert, erklärte der Minister. „Wir halten uns an die Abkommen mit der EU und erwarten, dass Europa dasselbe tut. Wenn das nicht geschieht, werden wir die Abkommen mit der EU auf diesem Gebiet aussetzen.“ Auf die Frage, bis wann dies geschehen würde, erwiderte Cavusoglu: „Wir warten nicht bis Jahresende. Wir haben eigentlich Ende Oktober gesagt.“
Die EU hatte Ankara Visaerleichterungen in Aussicht gestellt, dies allerdings an die Voraussetzung geknüpft, dass die umstrittenen Anti-Terror-Gesetze geändert werden. Kritiker werfen der türkischen Führung vor, mit Hilfe dieser Gesetze politische Gegner und unliebsame Journalisten mundtot zu machen.
Das türkische Innenministerium gab am Donnerstag bekannt, dass 1218 Mitarbeiter der Gendarmerie entlassen worden sind. Darunter seien 419 Offiziere. Ihnen würden Verbindungen zur Bewegung um den islamischen Prediger Fethullah Gülen vorgeworfen.
Die Türkei macht den in den USA lebenden Gülen für den Putschversuch vom 15. Juli verantwortlich. Seitdem gehen die Behörden gegen vermeintliche Gülen-Anhänger vor. Mehr als 60.000 Staatsbedienstete sind inzwischen entlassen worden. Nach Angaben von Staatsmedien sitzen derzeit mehr als 36.000 Menschen in Untersuchungshaft.
Leser*innenkommentare
Georg Marder
Offener kann man die Erpressung nicht aussprechen - aber es gehören eben immer zwei dazu, dass das funktioniert. Ich frage mich, wie weit unsere Bundeskanzlerin noch beim Bücken in die Tiefe geht, bevor Sie sich wieder aufrichtet.
JensF
Sehe ich auch so.
Es ist an der Zeit das verlogene Spiel zu beenden und dem Natopartner Türkei reinen Wein einzuschenken.
In der EU wird sich mMn auf absehbare Zeit keine Mehrheit finden, welche die Visafreiheit für die Türkei befürwortet. Ob das gut oder schlecht ist sei mal dahingestellt.
Das sollte die EU dann aber auch so klar kommunizieren.
Gut, dass sogenannte Flüchtlingsabkommen ist damit passe. Macht aber nichts.Denn der Deal war an verlogener Scheinheiligkeit ohnehin nicht zu überbieten.
adagiobarber
wie in einer schlechten soap-opera.
die türkische regierung hält den spannungsbogen immer hoch, so daß kein beobachter zur ruhe kommt.
Kappert Joachim
Bitte schön! Lieber die Kontakte mit der türkischen Diktatur runterfahren und noch eine Million Flüchtlinge aufnehmen. Oder möchte Deutschland jährlich min. 10 Millionen türkische 'Besucher' im Jahr?
Georg Marder
@Kappert Joachim Da ist es wieder, die "Alternativlosigkeit" und das Nicht-Einstehen für die Folgen der eigenen Politik - lieber anderswo Menschen in Gewalt schicken, als selber für seine Verantwortung einzustehen - ich fasse es nicht.
ulf hansen
Wir haben jede Menge platz in Deutschland 5 Millionen Flüchtlinge mehr kann unser land locker verkraften.
Herzlich willkommen.
dani wolf
Ich nehme an, du meinst das ironisch. Aber wir haben in der Tat ausreichend Ressourcen, Beschäftigung und zukünftige Verwendung für weitere geflüchtete Menschen (Stichwort: demografischer Wandel).
Leider wollen das viele nicht wahr haben, aber eine, wenn auch u.U. zeitlich begrenzte, Aufnahme in deutschland, wird den geflüchteten besser helfen, als das sofortige abschieben. Und uns würde es auch nicht schaden.