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Verhaftungen von Hongkonger JournalistenBleierne Paranoia

Fabian Kretschmer
Kommentar von Fabian Kretschmer

Das Sicherheitsgesetz hat Hongkongs Opposition mundtot gemacht. Doch die Sicherheitsbehörden wollen noch mehr: die Selbstzensur der Bevölkerung.

Ryan Law, Chefredakteurs der Zeitung Apple Daily, wurde am Donnerstag in Hongkong verhaftet Foto: ap

W er dieser Tage auf Carrie Lams Rede von vor knapp einem Jahr zurückblickt, kann nur staunen, mit welcher Chuzpe die Verwaltungschefin Hongkongs ihre Bevölkerung belügt. Das nationale Sicherheitsgesetz, das Lam damals beworben hat, werde nur eine „extrem kleine Minderheit“ betreffen und die „Freiheit der überwältigenden Mehrheit schützen“. Zudem werde es nicht rückwirkend greifen und weder die unabhängige Justiz noch die Pressefreiheit beeinträchtigen.

Längst ist das genaue Gegenteil von Lams Versprechen eingetreten. Das nationale Sicherheitsgesetz, das Peking der ehemals britischen Kronkolonie aufzwang, hat die politische Opposition Hongkongs mundtot gemacht und die führenden Köpfe der Demokratiebewegung ins Gefängnis verbannt.

Das einst offene Gesellschaftsklima ist einer bleiernen Paranoia gewichen, die jedem Journalisten entgegenschlägt, der mit Hongkongern über politische Themen sprechen möchte. Die Einzigen, die noch bereit zu reden sind, fordern Anonymität und verschlüsselte Kommunikation. Denn jede Aussage kann mittlerweile als Straftat ausgelegt werden – von „Subversion“ bis hin zur „Verschwörung mit ausländischen Kräften“.

Auch profane Zeitungsartikel sind mittlerweile schwerwiegende Verbrechen, wie die Verhaftungsaktion gegen die Chefetage der Zeitung Apple Daily am Donnerstag beweist. Die Razzia ist in erster Linie eine Warnung an die gesamte Journalistenbranche, sich künftig mit kritischer Berichterstattung zurückzuhalten.

Ziel der Sicherheitsbehörden: Selbstzensur

Das Ziel der Sicherheitsbehörden geht jedoch noch weiter: Sie wollen der gesamten Bevölkerung Hongkongs eine Selbstzensur einbläuen, die von den Menschen schon bald derart stark verinnerlicht wird, dass künftig keine Razzien mehr nötig sein werden.

Dann nämlich hat Pekings Staatsführung ihr Ziel erreicht: Wenn Hongkong zu einem zweiten Schanghai geworden ist; eine wirtschaftlich dynamische, doch politisch vollkommen autoritäre Großstadt – ohne Demons­tra­tionen, kritische Medien und offene Tischgespräche.

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Fabian Kretschmer
Korrespondent in Südkorea
Seit 2024 Korrespondent für die koreanische Halbinsel und China mit Sitz in Seoul. Berichtete zuvor fünf Jahre lang von Peking aus. Seit 2014 als freier Journalist in Ostasien tätig. 2015 folgte die erste Buchveröffentlichung "So etwas wie Glück" (erschienen im Rowohlt Verlag), das die Fluchtgeschichte der Nordkoreanerin Choi Yeong Ok nacherzählt. Betreibt nebenbei den Podcast "Beijing Briefing". Geboren in Berlin, Studium in Wien, Shanghai und Seoul.
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1 Kommentar

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  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    "Doch die Sicherheitsbehörden wollen noch mehr: die Selbstzensur der Bevölkerung."

    “Under the spreading chestnut tree



    I sold you and you sold me:



    There lie they, and here lie we



    Under the spreading chestnut tree.” (George Orwell, 1984)