Vergewaltigungsvorwürfe im US-Sport: Zu gut für harte Sanktionen
Quarterback-Star Deshaun Watson darf trotz Vergewaltigungsklage bald spielen. Ein anderer Football-Profi wird in einem ähnlichen Fall entlassen.

A b der kommenden Woche werden wieder Dollars gedruckt. Da beginnt sie wieder, die umsatzstärkste Sport-Show der Welt. Am 8. September startet die Saison der National Football League (NFL) mit dem Spiel des Titelverteidigers Los Angeles Rams gegen die Buffalo Bills. Aber Schlagzeilen macht nicht Tom Brady, der im Alter von 45 Jahren einen achten Super-Bowl-Sieg ansteuert, sondern jemand, der noch kein einziges offizielles Profifootball-Spiel absolviert hat. Und es sind keine guten Nachrichten.
Am Montag wurde Matt Araiza von den Buffalo Bills freigestellt. Der Grund: Der 22-jährige Punt-Experte ist einer der Beschuldigten in einer Vergewaltigungsklage. Araiza soll im vergangenen Jahr, er war noch Student an der San Diego State University und Punter des Football-Teams der Universität, eine damals 17-Jährige vergewaltigt haben und anschließend in einen Raum gebracht haben, wo sie von drei weiteren Männern, darunter zwei Mannschaftskollegen, anderthalb Stunden weiter vergewaltigt und gequält wurde – die Details aus der Anklageschrift sind grauenhaft.
Die Buffalo Bills haben das große Talent nun entlassen, obwohl seine Schuld noch nicht bewiesen ist. Araiza allerdings sieht sich zu Unrecht beschuldigt und teilte in einem Statement mit, „die Fakten sehen anders aus, als sie in der Anklage und der Presse dargestellt werden“. Seine Eltern behaupteten in einer Solidaritätsbekundung, es gäbe Augenzeugen, die ihren Sohn entlasten.
Ob Araiza schuldig ist, wird nun das Gericht in Kalifornien ermitteln müssen. Längst auf der Anklagebank aber sitzen die Bills und die NFL. Der Football-Klub in Buffalo hat wohl schon seit vier Wochen von den Anschuldigen gewusst, Araiza aber trotzdem weiter aufgebaut und – neben Quarterback Josh Allen, dem unbestrittenen Superstar des Teams – ins Zentrum seiner Marketingmaßnahmen gestellt.
Die Bigotterie der NFL
Wenn Araiza, der mit Vorschusslorbeeren als womöglich größtes Punt-Talent aller Zeiten und dem Spitznamen „The Punt God“ vom College kam, in einem Vorbereitungsspiel wieder einer seiner exorbitant weiten Befreiungsschläge gelang, feierten die Bills ihn in den sozialen Medien. Und nicht nur das: Vor einer Woche entließen sie Matt Haack, ihren etatmäßigen Punter, und übergaben Araiza damit quasi den Job, obwohl ihnen die Vorwürfe bereits bekannt waren.
Thema ist nun wieder einmal die Bigotterie in der NFL, aber auch im College-Sport: Araizas ehemalige Universität soll sieben Monate gewartet haben, bis der Vorfall untersucht wurde. Man habe die Ermittlungen der Strafbehörden nicht stören wollen, verteidigten sich die Uni-Verantwortlichen.
Dass aber gern mit zweierlei Maß gemessen wird, hat unlängst der Fall Deshaun Watson wieder einmal gezeigt. Gegen den Quarterback-Star sind 22 Anklagen wegen sexueller Belästigung anhängig, allesamt Masseurinnen, die Watson während seiner Zeit bei den Houston Texans privat engagiert hatte. Trotz der Vorwürfe engagierten die Cleveland Browns den 26-Jährigen, der als einer der besten Spielmacher gilt, und statteten ihn mit einem Rekordvertrag aus: 230 Millionen Dollar wird Watson in den nächsten fünf Jahren garantiert verdienen.
Die NFL sperrte Watson wegen der Anschuldigungen zwar für die ersten elf Spiele, also gut ein Drittel der Saison, aber trotzdem bleibt ein seltsamer Beigeschmack. Denn bislang sind weder Watson noch Araiza verurteilt und damit offiziell schuldig. Der eine aber wird wohl weiter Millionen verdienen, der andere aber wahrscheinlich nie ein NFL-Spiel bestreiten. Denn selbst wenn Matt Araiza freigesprochen wird, dürfte keine Franchise große Lust haben, wegen eines Punters einen täglichen Medienrummel zu riskieren. Aber sollten die Browns am 12. Februar 2023 von ihrem Quarterback zum Gewinn der Super Bowl geführt werden, dann wird Deshaun Watson in Cleveland zum Volkshelden.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Geiselübergabe in Gaza
Gruseliges Spektakel
Jugend im Wahlkampf
Schluss mit dem Generationengelaber!
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Wahlentscheidung
Mit dem Wahl-O-Mat auf Weltrettung
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Russland und USA beharren auf Kriegsschuld des Westens