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Vergewaltigung in NigeriaDas Schweigen brechen

Im Norden Nigerias spricht man nicht über sexuelle Gewalt. Jetzt beginnt die Internetkampagne #ArewaMeToo, das zu ändern. Ein Wagnis.

Aktivistin Aisha Usman (rechts) spricht mit der Mutter eines Opfers Foto: Katrin Gänsler

Kaduna taz | Zum Treffen in der nordnigerianischen Millionenstadt Kaduna hat die junge Frau einen dunkelblauen Tschador übergeworfen. Ihren Namen möchte die Mutter von zehn Kindern nicht nennen. Die Sorge, dass ihn jemand lesen wird, ist zu groß. Sprechen möchte sie aber unbedingt über das, was im vergangenen Jahr ihrer achtjährigen Tochter widerfahren ist.

Das Kind wurde ganz in der Nähe des Wohnhauses von einem Nachbarjungen vergewaltigt. Das begleitet die Familie bis heute. „Sie hat nicht geblutet. Aber ich sah es. Wir hatten kein Geld, um ins Krankenhaus zu gehen. Deshalb habe ich meine Tochter mit Blättern, die wir in der traditionellen Medizin nutzen, behandelt.“

Die Mutter erstattete weder Anzeige noch nahm sich die Familie einen Anwalt. Auf die Frage, warum, lächelt sie müde und etwas ungläubig. „Wir sind arm und haben dafür kein Geld.“

Auch war der Druck von der Familie des Täters groß. Sollte die Tochter sprechen, würde man sie vor Gericht der Lüge bezichtigen. Immerhin sei die Täterfamilie mittlerweile weggezogen. „Ich weiß nicht, wo sie jetzt wohnt. Ich möchte sie aber nie wieder sehen.“

„Die schwächsten Kinder werden vergewaltigt“

Während die Mutter spricht, hört ihr Aisha Usman aufmerksam zu. In Kaduna ist Usman vor allem für ihre Aufklärungsarbeit bei HIV und Aids bekannt. Sie kümmert sich aber auch um Vergewaltigungsopfer, die sie im Krankenhaus untersuchen lässt, sie ist in Kontakt mit der Polizei und einem Frauenhaus.

Fälle wie diesen kennt sie zur Genüge. „Die Kinder, die am schwächsten sind, werden vergewaltigt – und nicht die von reichen Vätern. Dabei sage ich den Müttern immer: Ihr dürft nicht zulassen, dass euren Kindern so etwas passiert. Doch häufig kann die Mutter nicht einmal für sich selbst sorgen, geschweige denn für das Kind.“

„Eltern haben oft nicht das Geld, zum Gericht zu gehen oder eine Krankenhausrechnung zu bezahlen“, erlebt auch Richterin Saadatu Hamma bei ihrer täglichen Arbeit. Daher komme es auch zu Bestechungsversuchen von Seiten der mutmaßlichen Täter. „Es sind weniger die Gerichte, die bestochen werden, sondern mehr die Opfer. Geld spielt immer eine Rolle.“

Immer mehr Jungs unter den Opfern

Verlässliche Statistiken zu Vergewaltigung im konservativen, mehrheitlich muslimischen Norden Nigerias gibt es nicht. Saadatu Hamma schätzt, dass 98 Prozent der Fälle nicht angezeigt werden. Aktuell sei auffällig, dass die Opfer immer jünger werden. Häufig sind es Kinder und Kleinkinder. „Es vergeht keine Woche, in der ich nicht von einer Vergewaltigung höre“, sagt auch Aisha Usman.

Sie erlebt außerdem, dass immer mehr Jungen vergewaltigt werden. „Einige Männer glauben, dass sie sich so nicht mit HIV infizieren können. Und natürlich können die Jungs nicht schwanger werden.“

Dass die Dunkelziffer der Vergewaltigungen hoch ist, dafür spricht auch der Hashtag #ArewaMeToo. Das Wort Arewa heißt „Norden“ auf Haussa, die am weitesten verbreiteten Sprache in Nordnigeria, und wird als Sammelbegriff für diese Region verwendet. Seit Ende Februar heizt der Hashtag auf Twitter eine Diskussion darüber an wie selten zuvor im Norden Nigerias, und sie läuft weiter.

Im Bundesstaat Niger gibt es bereits den Ableger #ArewaMeTooMinna. Auf Twitter veröffentlichen junge Menschen Fotos und schreiben, dass sie in Schulen, Kirchen und Moscheen über Missbrauch sprechen.

Als eine Urheberin von #ArewaMeToo gilt Maryam Awaisu, die sogar kurz verhaftet wurde, schreibt Amnesty International. Es heißt, dass sie und ihre Mitstreiterinnen mutmaßliche Täter denunziert haben sollen. Auch schreiben sie, dass sie „ermittelt hätten“.

Der Hashtag: Hilfreich oder nicht?

„Dafür sind Behörden zuständig“, kritisiert jedoch Hafsat Mohammed Baba, Kommissarin für Frauenangelegenheiten und soziale Entwicklungen in Kaduna. Auch hätten einige Behauptungen in den sozialen Medien nicht gestimmt. Den Hashtag hält Hafsat Mohammed Baba deshalb für „wenig hilfreich“.

Das Tolerieren von Gewalt gegen Mädchen und Frauen in Nigeria ist nicht nur unter Muslimen im Norden ein Problem. Ende Juni gab es Frauendemonstrationen, nachdem dem Leiter der christlichen Kirche „Commonwealth of Zion Assembly“ die Vergewaltigung einer 17-Jährigen vorgeworfen worden war.

Vor einer Woche machte ein Video Furore, das zeigt, wie Nigerias jüngster Parlamentsabgeordneter Elisha Abbo in weiblicher Begleitung einen Sexshop besucht und die Besitzerin verprügelt, weil seiner Begleitung schlecht wurde – als die Polizei kam, wurden die beiden Frauen verhaftet – er blieb frei.

Damit #ArewaMeToo tatsächlich das Schweigen bricht, muss sich in der Gesellschaft noch viel ändern, sagt Hadiza Isma el-Rufai. Sie ist die Ehefrau des Gouverneurs von Kaduna und Autorin des Romans „An Abundance of Scorpions“, in dem sie über Frauen in Nordnigeria schreibt.

„Wenn hier eine Tochter weinend von ihrer Vergewaltigung berichtet, denkt man zuerst an den Ruf der Familie. Man wird ihr sagen: ‚Schweig, sonst heiratet dich niemand. Mach uns keine Schande‘“, kritisiert Hadiza Isma el-Rufai.

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