Vergewaltiger will wieder Fußball spielen: Ein hochtoxisches Gespenst
Ched Evans, verurteilter Vergewaltiger und ehemaliger Fußballprofi, sucht einen neuen Verein. Aber keiner will ihn. Hat er ein Recht auf Resozialisierung?
BERLIN taz | Beim Fußballclub Oldham Athletic sind sie spezialisiert auf die Wiedereingliederung von Straftätern. 2007 verpflichteten die Vereinsbosse Lee Hughes, der frisch aus dem Knast gekommen war. Hughes hatte betrunken einen Menschen überfahren und war dafür zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Vor Hughs Verpflichtung fragte man die Fans von Oldham, ob sie nichts dagegen hätten, dass dieser Typ bei ihnen künftig gegen den Ball tritt. Hatten sie nicht, und obendrein war der Kicker wegen seiner Vorgeschichte denkbar günstig zu haben, für nur 1.800 Pfund pro Woche, was im englischen Profifußball ein Witz ist.
Jetzt sind sie in Oldham, das nordwestlich von Manchester liegt, auf einen noch günstigeren Deal aus. Für eine ehemalige Spitzenkraft von Sheffield United will der Drittligist nur 400 Pfund die Woche hinlegen. Das ist nur eine symbolische Zahlung, aber ob sie jemals an Ched Evans gehen wird, ist unklar. Denn Evans hat eine Frau vergewaltigt, jedenfalls waren die Richter dieser Meinung. Sie schickten ihn für fünf Jahre hinter Gitter, nach zweieinhalb Jahren kam er frei. Seitdem geistert Evans als ein Gespenst durch den englischen Fußball. Als hochtoxischer Ballast.
Man möchte meinen, er hätte seine Strafe abgesessen und hätte auch das Recht auf Wiedereingliederung in die Gesellschaft sowie eine Rückkehr in seinen alten Beruf. Aber das Etikett „Vergewaltiger“ klebt wie ein Stigma auf ihm. Evans wird auch nicht verziehen, dass er sich nicht zu seiner Tat bekennt und so ziemlich alles tut, um sich als Justizopfer darzustellen. „Ich möchte meinen Namen reinwaschen“, sagt er und schaut dabei wie ein Unschuldslamm in die Kamera, assistiert von seiner Freundin, die trotz seiner Verurteilung bei ihm geblieben ist.
Ein tiefer Graben verläuft zwischen den Evans-Unterstützern und seinen Anklägern. Letztere sind es freilich, die die öffentliche Debatte zuletzt bestimmt haben. Sobald sich ein Klub für den 27-Jährigen interessiert, treten sie auf den Plan und entfachen einen Sturm der Entrüstung, der sich unter anderem im Internet entlädt. Als Evans bei seinem alten Klub, Sheffield United, mittrainieren wollte, stellte eine unter dem Pseudonym Jean Hatchet agierende „radikale Feministin“ (Hatchet über Hatchet) eine Unterschriftenliste ins Netz – fast 170.000 Leute unterschrieben.
Ein Fußballer muss auch Vorbild sein
Sheffield ließ Evans fallen wie eine heiße Kartoffel. Sponsoren drohten mit dem Rückzug, Vereinspaten damit, den Klub nicht mehr zu unterstützen. Tenor: Ein Fußballer sei kein normaler Arbeitnehmer, er müsse auch Vorbild sein; Evans sei durch sein Auftreten und seine Uneinsichtigkeit nicht geeignet, sein Geld als Profifußballer zu verdienen. Doch Evans wollte so schnell nicht aufgeben. Wieder Fußball zu spielen, das sei sein Traum, offenbarte er – und suchte weiter.
Im Dezember klopfte er bei Hartlepool United an, einem Viertligisten. Vereinsmanager Ronnie Moore sagte, er werde den Burschen verpflichten, doch die Rechnung hatte er ohne Hartlepools Parlamentsmitglied Iain Wright gemacht, der Evans einen „Paria“ nannte. Es wurde also wieder nichts.
Kurze Zeit später hieß es, der vorbestrafte Waliser könne beim FC Hibernians auf Malta unterkommen. Das untersagte aber das britische Justizministerium höchstselbst. Für Evans komme eine Beschäftigung im Ausland nicht in Frage, hieß es. Maltas Premierminister, Joseph Muscat, warnte Hibernians, eine Verpflichtung des Spielers könne die Reputation des Landes beschädigen.
Öffentlich am Pranger
So ist Ched Evans nun also bei Oldham Athletic im Gespräch – noch. Denn es gibt schon wieder eine Onlinepetition von Jean Hatchet, die fast 63.000 Leute unterschieben haben. Es verlangte eine große Portion Mut vom Verein, den Verstoßenen aufzunehmen.
Die Sache hat sich ohnehin verselbständigt. Evans steht am öffentlichen Pranger und kommt nicht weg von diesem Ort der Schande. Selbst das Boulevardblatt Daily Mail bekommt Mitleid mit Evans: „Wir sollten uns alle dem Mob entgegenstellen“, fordern sie ihre Leser auf. Dabei wissen sie doch am besten, wie man den Mob mobilisiert. Und Ched Evans weiß es mittlerweile auch.
Er wird wohl weiter tingeln müssen. Wenn er seine Dienste kostenlos in der fünften oder sechsten Liga anbietet, dann könnte es vielleicht etwas werden mit einem Job. Man verlangt offensichtlich von ihm, sich selbst zu demütigen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin