Vergesellschaftungsgesetz in Berlin: Niemand hat die Absicht zu enteignen
Die Koalition legt Vergesellschaftungsrahmengesetz vor. SPD nennt es „historisch“, CDU und DWE sind sich einig: Enteignungen sollen damit verhindert werden.
Mehr als vier Jahre nach dem erfolgreichen Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co enteignen haben CDU und SPD ihre Antwort auf den mehrheitlichen Wunsch der Berliner:innen vorgelegt: Am Donnerstag wird ihr Entwurf für ein Vergesellschaftungsrahmengesetz ins Parlament eingebracht. Vergesellschaftet werden soll mit dem neuen Gesetz jedoch nicht, überhaupt hat es keinerlei praktische Folgen.
Die acht Paragrafen des Gesetzes konkretisieren knapp, was im Kern schon in Artikel 15 des Grundgesetzes zu lesen ist, der grundsätzlich die Vergesellschaftung von Wirtschaftszweigen erlaubt. So wird im Entwurf etwa die grundsätzliche Legitimität von Vergesellschaftung dahingehend konkretisiert, dass so ein „allgemeines Versorgungsinteresse breiter Schichten der Bevölkerung“ sichergestellt werden soll. Der Zweck der Vergesellschaftung wird so definiert, dass diese ein „Missverhältnis zwischen dem festgestellten Versorgungsinteresse der Allgemeinheit und der Versorgungssicherheit beseitigen“ solle.
Die Handschrift der CDU zeigt sich vor allem darin, dass ein großer Fokus auf die Prüfung der Verhältnismäßigkeit gelegt wird. So soll als Voraussetzung der Vergesellschaftung festgehalten werden, dass das Ziel der Gemeinwirtschaft nicht auf andere Wege erreicht werden kann und dass diese „die Leistungsfähigkeit des Landeshaushalts“ nicht auf Dauer erheblich einschränken darf. Zur Höhe der Entschädigung bei Enteignungen heißt es, nötig sei eine „Gesamtschau“, bei der „alle unmittelbaren und mittelbaren wirtschaftlichen Folgen der Vergesellschaftung betrachtet werden“. Als „Ausgangspunkt“ wird der Verkehrswert der enteigneten Wirtschaftsobjekte genannt.
Das Gesetz ist ein Kompromiss zwischen der CDU, die eine Vergesellschaftung insbesondere von Wohnraum rundherum ablehnt, und der SPD, in der es zumindest in Teilen Sympathien für Vergesellschaftung gibt. Das Rahmengesetz war im Koalitionsvertrag vereinbart worden. Ob das Gesetz nun als mögliche Vorarbeit für spätere Vergesellschaftungen zu betrachten ist oder solchen Debatten ein Ende setzt, ist allerdings auch nach Veröffentlichung zwischen den beiden Parteien umstritten.
Ende oder Anfang?
So betonte der CDU-Fraktionsvorsitzende Dirk Stettner am Mittwoch gegenüber der taz: „Das Gesetz ermöglicht keine Enteignung.“ Stattdessen schütze es „den Berliner Haushalt vor milliardenschweren Abenteuern“. Im Gesetz seien die Voraussetzungen „so eng definiert“, „dass nur echte, klar belegbare Ausnahmefälle infrage kommen“. Verankert worden sei, dass jede Vergesellschaftung fair entschädigt werden muss, „und zwar auf Basis des Verkehrswerts“. Inwiefern das mit dem Gesetzestext vereinbar ist, nach dem der Verkehrswert nur der Ausgangspunkt der Entschädigungshöhe sein soll, ließ er offen.
In Artikel 14 Grundgesetz, der die Möglichkeit von Enteignungen zum Wohle der Allgemeinheit regelt, heißt es, dass eine Entschädigung nach einer „Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten“ erfolgen muss. Auch die vom Senat beauftrage Expertenkommission war zu dem Schluss gekommen, dass für die beabsichtigte Vergesellschaftung von etwa 220.000 Wohnungen privater Konzerne nicht der Verkehrswert zu zahlen sei.
Aus den Reihen der SPD spricht derweil der Abgeordnete Sebastian Schlüsselburg von einem „historischen“ Gesetz. Das erste Mal würde ein Gesetzgeber „das Schwert des Grundgesetzes für die Gemeinwirtschaft aus dem Schrank ziehen“, so Schlüsselburg zur taz. Zwar sei der nun verabschiedete Entwurf „deutlich reduzierter und schlanker“ als der im Sommer vorgelegte SPD-Entwurf, er erfülle aber seinen zentralen Zweck: alle entscheidenden Rechtsfragen vom Bundesverfassungsgericht klären zu lassen, um eine anschließende Vergesellschaftung rechtssicher zu ermöglichen.
Justus Henze, Sprecher Deutsche Wohnen & Co enteignen
Vor allem erkämpft haben will die SPD ausgerechnet den Passus, der erlaubt, dass eine Vergesellschaftung eben keine Enteignung von Eigentum bedeuten muss, sondern auch über die Schaffung von „anderen Formen der Gemeinwirtschaft“ möglich ist. Der taz sagte Schlüsselburg, der Sinn des Gesetzes sei, „rechtssicher, maßvoll und haushaltsschonend“ zu regulieren, „statt unverhältnismäßig zu enteignen“. So solle „das Soziale an der Marktwirtschaft“ gesichert werden.
Initiative kritisiert „Pseudo-Politik“
Schon seit dem Sommer trommelt die SPD für diese Interpretation der Vergesellschaftung, die nicht auf Enteignung, sondern auf andere Eingriffe in den Wohnungsmarkt setzt. Ins Spiel gebracht hatte die SPD etwa Regelungen, die einem neuen Mietendeckel gleichkämen.
Die Initiative Deutsche Wohnen Co enteignen kritisiert den Gesetzesentwurf als „Pseudo-Politik ohne jeden Effekt auf die Mietenkrise“. Jede:r Vierte sei in Berlin von Wohnarmut bedroht, sagte Sprecher Justus Henze. Doch statt diesen Menschen zu helfen, würde das Gesetz die Berliner:innen nur „mit einer billigen Nebelkerze ablenken“. Die Initiative verweist auf ihren eigenen Gesetzesentwurf zur Enteignung, den sie im kommenden Jahr über einen weiteren Volksentscheid zur zwingenden Umsetzung bringen will. „CDU und SPD können uns mit ihren Verschleppungsstrategien nicht aufhalten“, so die Initiative.
Nach Vorstellung der SPD soll das Gesetz im Januar dem Abgeordnetenhaus vorgelegt werden und könnte im Frühjahr beschlossen werden. Es soll erst 24 Monate später in Kraft treten. Schon ab Verabschiedung ist allerdings eine Normenkontrollklage vor dem Bundesverfassungsgericht möglich. Dann würde sich Karlsruhe mit dem Gesetz befassen – und möglicherweise für Klarheit sorgen, wie enteignet werden darf.
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