Vergangenheit der Nordwest-Zeitung: Entnazifizierung verbockt
Der Gründer der „Nordwest-Zeitung“, Fritz Bock, war Nationalsozialist. Die Zeitung aber stellt ihn bis heute ohne Belege als Judenretter dar.
Der Madsack-Konzern übernimmt Anfang 2026 die Nordwest Medienguppe einschließlich der Oldenburger Nordwest-Zeitung (NWZ). Damit geht die Geschichte eines Familienunternehmens zu Ende. Über Jahrzehnte befand sich das Blatt in den Händen der Familien Köser und von Bothmer, den Nachfahren des NWZ-Mitgründers Fritz Bock. Wer war der Mann, dem sie ihr Erbe zu verdanken haben?
Glaubt man der offiziellen Geschichtsschreibung der NWZ war Fritz Bock nicht nur ein unerschrockener Geschäftsmann, sondern ein Kämpfer für Freiheit und Demokratie. Wegen seines vorbildlichen Charakters sollen die britischen Besatzer Bock 1946 die Lizenz zur Gründug der NWZ anvertraut haben.
„Gegen Fritz Bock gab es keine politischen oder fachlichen Vorbehalte“, ist sich der heutige Chefredakteur der NWZ, Ulrich Schönbornicher. „An seiner demokratischen Gesinnung bestand kein Zweifel“, attestiert auch der langjährige Chefredakteur Rolf Seelheim. Bock sei laut Seelheim nicht nur „unbelastet“ gewesen, er habe sogar „jüdischen Familien zur Ausreise in die USA verholfen“. Details zu Bocks Schaffen zwischen 1933 und 1945 liefert die Zeitung aber nicht.
Fritz Bock hatte vor 1945 eine Schlüsselposition in der Oldenburgischen NS-Presse inne. Seit 1916 war er Geschäftsführer der Oldenburger Nachrichten, der damals meistgelesenen Zeitung im Oldenburger Land. Unter seiner Leitung stellte sie sich früh an die Seite der Nationalsozialisten. Schon 1930 verkündete die Zeitung bei Hitlers Besuch in Oldenburg, dass die NSDAP eine „tiefgreifend[e] geistig[e] Bewegung im kranken Volksleben“ sei. Hitler nannte sie 1932 einen „große[n] Volksführer“ und seinen Auftritt „die machtvollste Veranstaltung politischer Art, die je in Oldenburg stattgefunden hat“.
Schlüsselposition in der Oldenburgischen NS-Presse
Der Historiker Karl-Ludwig Sommer bezeichnet den frühen Schulterschluss der Oldenburger Nachrichten mit den Nazis als „folgenschwe[r]“ und auch der Historiker Klaus Schaap hebt ihre Rolle beim Aufstieg der NSDAP im Land Oldenburg hervor, wo sie bereits 1932 die absolute Mehrheit erreichte.
Während das NS-Regime 1933 ihre Konkurrenz verbietet, können die linientreuen „Nachrichten“ wie gehabt weitermachen. Fritz Bock wird zum „Verlagsdirektor“ befördert und ab Kriegsbeginn hat er in Abwesenheit des Verlegers Alfred Scharf offenbar die alleinige Verantwortung für die Zeitung inne. Am 1. März 1940 tritt er als Mitglied Nummer 7513982 der NSDAP bei, wie eine Anfrage der taz beim Bundesarchiv zeigt.
Ein Bericht über die Betriebsversammlung 1935 gibt einen Einblick hinter die Kulissen der Oldenburger Nachrichten. Bebildert ist er mit einem Foto der Belegschaft vor Hakenkreuzfahne. Ein Redner der „Deutschen Arbeitsfront“ ist gekommen, um den Betrieb auf den „Wille[n] des Führers“ einzuschwören: „Wir stellen uns bewusst hinter den Führer, der den gigantischen Kampf um die Freiheit des deutschen Volkes auf sich genommen hat.“
„Verlagsdirektor Fritz Bock“, so der Bericht, „dankt [dem Redner] für sein Erscheinen und seine Ausführungen.“ Den Abschluss der Betriebsversammlung bilden das „Sieg-Heil auf den Führer sowie der Gesang des Deutschland- und Horst-Wessel-Lieds“.
Foto der Belegschaft vor Hakenkreuzfahne
In den kommenden Jahren verbreiten die Oldenburger Nachrichten antisemitische Hetze und Kriegspropaganda in Reinform – unter anderem von Edith Ruß, deren NS-Vergangenheit die taz öffentlich machte. Regelmäßig befürwortet die Zeitung Hinrichtungen von „Verrätern“, „Volksschädlingen“ oder Juden. 1939 führt sie die Kriegsbeilage „Der Waffenträger“ ein.
1943 ist zunächst Schluss für die Oldenburger Nachrichten. NWZ-Verantwortliche fabulieren heute, die Zeitung sei von den Nazis „verboten“ worden. Tatsächlich wurde sie wegen Materialmangels mit dem örtlichen NSDAP-Blatt zusammengelegt. „Verlag und Schriftleitung leisten damit einen besonderen Beitrag, um dem Kriege und dem Siege zu dienen“, erklärt die Zeitung in „demselben Verantwortungsbewusstsein, mit dem sie bisher ihre Aufgaben für Führer, Volk und Reich erfüllt hat“.
Wie Bock die beiden Jahre bis Kriegsende verbringt, ist nicht bekannt. Ab 1945 ist er für die britischen Besatzer tätig und erhält 1946 zusammen mit dem Journalisten Joachim Pabst die Lizenz zur Gründung der NWZ. Dass die Briten einem NSDAP-Mitglied die Lizenz für die erste Zeitung im Nordwesten Deutschlands anvertrauten, ist erstaunlich. Ein möglicher Teil der Erklärung: Pabst beriet als Mitglied des Kultur-Entnazifizierungsausschusses die Militärregierung.
Die NWZ nutzt zunächst die Gebäude von Bocks früherer Arbeitsstätte. Kurz vor seinen Tod 1954 übernimmt die NWZ dann die wiedergegründeten Oldenburger Nachrichten – ihr Name ist seitdem Teil des NWZ-Zeitungskopfs.
Zu ihrer Geschichtsklitterung möchte sich die NWZ auf Anfrage nicht äußern. Einen Beleg für Bocks vermeintliche Judenrettung liefert sie nicht. Der Madsack-Konzern hat seine Geschichte vor einigen Jahren aufarbeiten lassen. Für die NWZ wäre es ebenfalls höchste Zeit.
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