Zwischen allen Stühlen

Nach wütendem Befreiungsschlag sitzt Hazal in der Falle. Aslı Özarslans Spielfilmdebüt „Ellbogen“ erzählt von einer jugendlichen Suche nach Glück zwischen Berlin und Istanbul (Generation)

Asya Utku, Jamilah Bagdach und Hauptdarstellerin Melia Kara in „Ellbogen“ Foto: Massimo Di Nonno/Achtung Panda!

Von Eva-Christina Meier

Kurz vor ihrem 18. Geburtstag hat die junge Berlinerin Hazal Akgündüz immer noch keinen Ausbildungsplatz gefunden. Im Bewerbungstraining übt sie mit Mitschülern Situationen ein, die in ihrer Wirklichkeit jedoch ganz anders ablaufen. So muss Hazal weiterhin bei ihrer Mutter in der Bäckerei aushelfen. Denn auch beim Vorstellungsgespräch in einem Pflegeheim bietet man ihr nur wieder ein unbezahltes Praktikum an. Am selben Tag noch wird sie beim Diebstahl in einem Drogeriemarkt erwischt und der schmierige Ladendetektiv nimmt ihr genau die hundert Euro ab, die sie am nächsten Tag für ihre Party mit Elma und Gül eingeplant hatte.

Aslı Özarslans Spielfilm ­„Ellbogen“ handelt von erdrückender Ohnmacht und unbändiger Wut. Ohne Voyeurismus und nah an ihren Protagonistinnen inszeniert die Regisseurin das sich anbahnende Drama und Hazals Flucht aus dem Berliner Wedding an den Bosporus.

Als Drehbuchvorlage diente ihr der gleichnamige Roman der Schriftstellerin Fatma Aydemir, den die Literaturkritik 2017 mit ­packend, emotional und brutal – als einen Schlag mit dem Ellbogen in die Magengrube beschrieb. Özarslans Spielfilmdebüt folgt weitgehend der Romanhandlung. Jedoch verdichtet die Berliner Regisseurin Aydemirs raue Coming-of-Age-Geschichte mit unverbrauchten Bildern und eigenen inhaltlichen Akzenten zu einer intensiven filmischen Dramaturgie. Gemeinsam mit der Autorin ­Claudia Schäfer entstand das Drehbuch.

Hazal, Elma und Gül sind in Berlin geboren, im Wedding auf­gewachsen. Aber weder in der biodeutschen Mehrheitsgesellschaft noch in der als bedrückend wahrgenommenen Existenz ihrer ­türkischen Eltern können die Freundinnen ihr eigenes Leben er­kennen. Doch gemeinsam fühlen sie sich stark. Hazals 18. Geburtstag wollen sie tanzend in einem ­angesagten Techno-Club feiern. Als sie aufwendig gestylt und festlich zurechtgemacht die Schlange der in Turnschuhen Wartenden entdecken, ahnt Hazal bereits die drohende Schmach: Dem Trio wird von den Türstehern der Eintritt verwehrt. Sie gehören nicht dazu. Beschämt und zornig kehren sie um. Auf dem menschenleeren Bahnsteig der U-Bahn macht sie ein Studententyp blöd an. Dann eskaliert die Situation. Sie endet tödlich.

Nach dem Unglück flieht die Achtzehnjährige überstürzt nach Istanbul. Dort taucht sie bei Mehmet unter, den sie in den sozialen Medien kennengelernt hat. In der fremden Stadt, in einer verdreckten Wohnung wacht sie neben ihm in einer komplett neuen Realität auf. Vielversprechend ist diese nicht. Überzeugend gelingt es Nachwuchsschauspielerin Melia Kara in der Hauptrolle Hazals Lebenshunger, ihre Wut, Naivität und dann wieder ihre Abgeklärtheit auf die Leinwand zu bringen.

2017 und 2022 verbrachte Aslı Özarslan als Stipendiatin einige Zeit in Istanbul und arbeitete vor Ort an dem Spielfilmprojekt. Dieser Aufenthalt mag die sorgfältige Auswahl der Drehorte, die von sozialen Nischen und urbanen Fluchten zeugen, günstig beeinflusst haben. In der Bosporus-Metropole verbindet sich Hazals Geschichte atmosphärisch mit der Umgebung zu einer vielschichtigen Filmerzählung, die komplexe gesellschaftliche Strukturen andeutet.

Eine türkische Realität, die zu Hause in Berlin ausgeblendet bleibt

Bis 2017 hatte Özarslan an der Filmakademie Baden-Württemberg Dokumentarfilmregie studiert und für ihren Diplomfilm „Dil Leyla“ 2016 zahlreiche Auszeichnungen erhalten. Ihr Dokumentarfilm begleitet Leyla, eine junge Frau aus Deutschland, die nach Cizre ­zurückkehrt, um in der kurdischen Hochburg Bürgermeisterin zu werden.   

Auch in ihrem Spielfilm „Ellbogen“ wird die junge Hauptdarstellerin schon bald mit einer türkischen Realität konfrontiert, von der zu Hause in Berlin geschwiegen wurde. Hier in der Stadt geht sie endlich tanzen. (Keiner trägt Turnschuhe.) Und sie versteht allmählich: Mehmet ist ein Junkie. Den kurdischen Mitbewohner ­Halil sucht die türkische Polizei und Gözde, seine bürgerliche Freundin, blickt auf sie herab. Für Hazal geht es nur bergab. Aber zum ersten Mal entscheidet sie selbst.

20. 2., 12.30 Uhr, Filmtheater am Friedrichshain

21. 2.,10 Uhr, HKW 1 – Miriam Makeba Auditorium

25. 2., 19 Uhr, HKW 1 – Miriam Makeba Auditorium