Verfilmung eines Sportlerinnenlebens: Tränen auf Wasser

Disney verfilmt das Leben von Gertrude Ederle. Die hat sich in den 1920ern nicht nur im Becken freigeschwommen.

Daisy Ridley als Getrtrude Ederle mit Schwimmkappe

Entschlossener Blick: Daisy Ridley in der Rolle der Schwimmerin Gertrude Ederle Foto: Disney/ap

Das Gertrude Ederle Recreation Center ist ein unscheinbarer Bau im äußersten Westen von Manhattan, wo die Stadt zum Fluss hin ausfranst und die Straßen menschenleer sind. Hinter einer unauffälligen Klinkerfassade befindet sich ein städtisches Sportzentrum mit einem Fitnessraum, einem Schwimmbad und ein paar Basketballplätzen. Voll ist es hier nie.

Wenn man die Besucher fragt, nach wem die Einrichtung benannt ist, erntet man derweil bestenfalls ein Stirnrunzeln. Irgendetwas sagt Gertrude Ederle den New Yorkern, doch in welchem Zusammenhang genau sie den Namen schon einmal gehört haben, wissen die meisten nicht.

Das soll nun der Kinofilm „The Young Woman and the Sea“ ändern, ein aufwendig produzierter Disney-Schinken über das Leben ebendieser Gertrude Ederle. In einer Szene ganz zum Ende des Films sagt eine Figur: „Vergesst Babe Ruth. Vergesst Jack Dempsey. Ederle ist die größte Sportlerin unserer Zeit.“ Das war 1926 und der Film liefert gute Argumente für diese These. Und er versucht gleichzeitig gutzumachen, dass sie, anders als der Baseballspieler Ruth und der Boxer Dempsey, vollkommen in Vergessenheit geraten ist.

Zur Erinnerung: Ederle, Tochter eines deutschstämmigen Metzgers aus New York, durchquerte 1926 als erste Frau schwimmend den Ärmelkanal, nachdem sie bei den Olympischen Spielen 1924 eine Goldmedaille gewonnen hatte. Dabei brach sie den Rekord der Männer um mehr als zwei Stunden. Die Leistung war damals eine Sensation. Ederle war wochenlang in den Schlagzeilen und bekam als erste weibliche Sportlerin eine Konfettiparade am Broadway.

Doch dann wurde es still um sie. Für das Tingeln mit einer Varietétruppe war sie nicht geschaffen und anders als für ihren Nationalmannschaftskollegen Johnny Weissmüller interessierte sich auch Hollywood nicht für sie. Sie lebte bis zu ihrem Tod 2003 eine stille Existenz als Schwimmlehrerin.

Dick aufgetragene Widerstände

Im Mittelpunkt des Films steht indes, welche Widerstände eine junge Frau aus der Arbeiterschicht in den 20er Jahren zu überwinden hatte, um überhaupt eine Chance auf eine sportliche Karriere zu haben. Dabei wird nach Hollywoodmanier ziemlich dick aufgetragen, doch die Kernbotschaft ist sicher wahr.

Es beginnt damit, dass ihr Vater nichts davon wissen möchte, dass die junge Gertrude und ihre Schwester in einen der wenigen Frauenschwimmvereine eintreten, die es damals gab. Er konnte keinen Sinn darin sehen, dass seine Töchter schwimmen lernen, schließlich war ihre Bestimmung, einen netten jungen Mann aus der Nachbarschaft zu heiraten und mit ihm nach Möglichkeit das Metzgergeschäft zu übernehmen.

Ederles Schwester fügt sich schließlich in dieses Schicksal. In einer Schlüsselszene des Films umarmen sich die beiden Schwestern und Gertrude gesteht Meg, dass sie „das einfach nicht schafft, so zu leben“.

Stattdessen fährt sie zu den Spielen von Paris, wo sie laut Drehbuch von dem männlichen Olympiacoach sabotiert wird. Die Episode ist nur halbwahr, Ederles Trainerin Charlotte Epstein war in Paris dabei. Was aber durchaus stimmt, ist, dass der Verband den Frauen aus Sorge um deren Tugend die Vorbereitung erschwerte.

So war Ederle in Paris weit weniger erfolgreich als erhofft. Und so setzt sie sich die Kanalüberquerung in den Kopf, um der Welt zu zeigen, was sie draufhat. Dabei muss sie wieder gegen alle möglichen Blockaden ankämpfen, niemand traut ihr diesen Irrsinn zu. Schließlich wird sie erneut von ihrem eigenen Trainer unterlaufen, der ihr im Film beim ersten Querungsversuch Schlafmittel in den Tee rührt. Auch diese Episode ist nicht belegt, die Skepsis ihres Betreuers hingegen schon.

Das große Finale des Streifens ist schließlich die geglückte Querung, die die sture Ederle auf eigene Faust mit einer Crew organisiert, die an sie glaubt. Dabei zeigt Hollywood, was es kann: Es hat noch nie eine filmische Darstellung eines so langweiligen Sports wie Langstreckenschwimmen gegeben, die so spannend und dramatisch war.

Am Ende sind dann ganz Amerika und sogar ihr sturer Vater stolz auf das tapfere Mädchen. Und selbst die hartgesottensten Kinobesucher suchen still und klammheimlich nach einem Taschentuch. Es sind Tränen, die Ederle verdient hat. Auch wenn sie beinahe 100 Jahre zu spät kommen.

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