Verfassungsschutzchef Maaßen: Der angezählte Unruhestifter
Der Verfassungsschutzchef provozierte mit der Anzeige gegen netzpolitik.org bewusst einen Warnschuss – ohne Rücksicht auf die politischen Folgen.
Dann grollt er: „Terroristische Netzwerke oder uns feindlich gesinnte Staaten brauchen gar nicht mehr groß zu spionieren, wenn sie hochsensible Informationen aus den deutschen Nachrichtendiensten einfach in Internetportalen nachlesen können.“ Das, so Maaßen, sei „ein fast alltäglicher Skandal“, der unsichtbar bleibe.
Es ist die jüngste Unmutsbekundung von Maaßen über Durchstecherei. Aber bei Weitem nicht die erste. Mit seiner Anzeige gegen die Netzpolitik-Artikel versuchte der Verfassungsschutzchef nun den Warnschuss – und brachte eine Affäre ins Rollen. Sie hat Generalbundesanwalt Harald Range das Amt gekostet. Justizminister Heiko Maas (SPD) strauchelte, Innenminister Thomas de Maizière (CDU) ist angezählt. Nun erreicht die Kritik auch Maaßen. Der Warnschuss wird zum Bumerang.
Markus Beckedahl, einer der beiden Netzpolitik-Journalisten, gegen die ermittelt wird, nennt den Verfassungsschutzchef den „eigentlich Schuldigen“, der alles „in Gang gesetzt“ habe. Linkspartei-Chef Bernd Riexinger fordert seine Entlassung: Druck auf unliebsame Journalisten auszuüben sei mit dessen Amt „nicht vereinbar“. Auch die Grünen stellen Maaßens „Amtsverständnis“ infrage, seine Anzeige sei „abwegig“.
Von dem obersten Verfassungsschützer selbst ist derzeit wenig zu hören. Die Vorwürfe blieben „unwahr“, sagte ein Sprecher des Amtes am Donnerstag nur. Man habe nie Anzeigen gegen Journalisten, sondern nur gegen unbekannt gestellt. Aber Maaßen weiß: Ausgestanden ist die Sache noch nicht.
Landesverrat? Nie die Rede von gewesen
Im Frühjahr hatte Maaßen Anzeige erstattet, weil das Blog netzpolitik.org den Haushaltsplan des Verfassungsschutzes von 2013 und Pläne für eine 75-köpfige Internet-Taskforce veröffentlicht hatte. Von Landesverrat, heißt es aus dem Amt, sei aber nie die Rede gewesen. Soll heißen: Es war Range, der die Sache so hoch hängte. Nur stimmt das nicht ganz.
Denn als die Bundesanwaltschaft die Anzeige in Zweifel zog, lieferte Maaßen im Mai auf Anfrage ein Gutachten nach. Es gehe um „Staatsgeheimnisse“, hielt dieses fest. Veröffentlicht wurden „hochkonspirative Methoden“, aus denen ausländische Dienste „Rückschlüsse“ ziehen könnten. Aus dem Dienstgeheimnis wurde nun Landesverrat. Dieser Vorwurf richtete sich aber nicht mehr nur gegen die Informanten, sondern auch gegen die Veröffentlicher – die Netzpolitik-Journalisten.
Maaßen nahm das in Kauf, mindestens. Schon 2012, als im Bundestag der Untersuchungsausschuss zu den NSU-Morden tagte und Medien vertrauliche Dokumente zitierten, ärgerte er sich. Dann kam die NSA-Affäre, wieder wurden interne Akten öffentlich. Maaßen warnte Abgeordnete, beklagte in Interviews, das Vertrauen zu den US-Partnern habe „gelitten“.
Als Maaßen im Mai in Berlin ein Symposium seines Amtes eröffnete, hielt er eine Brandrede. Er habe den Eindruck, „bestimmte Kreise“ wollten die deutschen Dienste „sturmreif schießen“. Nicht alles sei ein Skandal, „nur weil es den Medien unbekannt war“. Ein Skandal sei vielmehr, wenn „der geheime Wirtschaftsplan“ seines Amtes abgedruckt werde. Nur wenige im Saal verstanden, worauf sich dieser Verweis bezog. Maaßen aber hatte da bereits seine Anzeigen wegen der Netzpolitik-Artikel gestellt.
Das Image wieder richten
Seine Berliner Rede hatte einen Ton, den man von Maaßen bisher nicht kannte. Stets nüchtern, aber zielbewusst, tritt der Jurist auf, der 21 Jahre im Bundesinnenministerium arbeitete. 2012 wurde er Verfassungsschutzchef. Da stand das Amt maximal ramponiert da: Maaßens Vorgänger war wegen der NSU-Mordserie zurückgetreten. Der Geheimdienst war trotz etlicher V-Leute den untergetauchten Rechtsterroristen nicht auf die Schliche gekommen, Mitarbeiter hatten Akten geschreddert.
Maaßen wollte das Image wieder richten. Er versprach eine Reform und Transparenz, wollte „Vertrauen zurückgewinnen“. Die Opposition zweifelte: Der „empathielose Technokrat“ stehe nicht für einen Neustart.
Dieser Ruf war vor allem Maaßens Rolle um den deutschtürkischen Guantánamo-Häftling Murat Kurnaz geschuldet. Obwohl die USA Kurnaz unschuldig sahen, verhinderte ein Gutachten von Maaßen, damals Leiter des Referats für Aufenthaltsrecht im Innenministerium, seine Rückkehr: Kurnaz habe durch die lange Haft seine Aufenthaltsgenehmigung verwirkt.
Es war eine Geste der Loyalität für seinen Vorgesetzten, Innenminister Otto Schily (SPD). Sie zeigte aber bereits, dass Maaßen weiß, wie man Paragrafen zielgerichtet einsetzt. Sie zeigte aber auch, was ihm bisweilen fehlt: politisches Gespür. Als die NSA-Affäre hochkochte, nannte Maaßen den Whistleblower Edward Snowden einen „Verräter“. Bei den NSU-Verbrechen sah er Fehler bei Polizei, Staatsanwaltschaften und den Thüringer Verfassungsschutz, nicht aber bei seinem Bundesamt. Und nun die Netzpolitik-Affäre.
Linke: Verfassungsschutzreform gescheitert
Maaßen sieht sich bei alldem nur als Dienstherrn in der Pflicht, als erster Verteidiger seines Amtes. Nützen tut es ihm nicht. Dass Maaßen reagiert, wenn Vertrauliches aus seinem Amt sickert, ist das eine. Dass er aber nicht kalkuliert, was es politisch bewirkt, wenn er dafür die größtmögliche Attacke wählt, das andere. Die Linke erklärte am Donnerstag die Verfassungsschutzreform für gescheitert. „Wenn es sie überhaupt gegeben hat“, sagt Fraktionsvize Jan Korte.
Noch steht Maaßens Vorgesetzter, Innenminister de Maizière, hinter ihm. Eine Amtsgarantie aber ist das nicht. Sollte die Affäre noch anschwellen, wird er eher Maaßen gehen lassen, als dass es für ihn selbst eng wird. Verloren hat Maaßen schon jetzt. Die Netzpolitik-Journalisten stehen gestärkt und sind bekannter denn je. Die Bundesanwaltschaft wird sich sehr genau überlegen, ob sie in solch einem Fall noch mal ermittelt. Und das von Maaßen erhoffte Vertrauen für sein Amt, es rückt wieder in weite Ferne.
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