Verfassungsschutzbericht zum NSU: Die Akten sind frei
Ein Bericht zur Arbeit der hessischen Verfassungsschützer im NSU-Fall sollte geheim bleiben. Frag den Staat und das „ZDF Magazin Royale“ haben ihn geleakt.
Am 10. November ließ ein Referatsleiter des Bundesamts für Verfassungsschutz die Akten von sieben V-Leuten aus der Thüringer Neonazi-Szene vernichten. Und am 14. November 2011 begann man im hessischen Amt für Verfassungsschutz mit der Sichtung „relevanter Akten“ rund um das Kerntrio Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, „um mögliche Hinweise auf die rechtsterroristische Gruppierung zeitnah zu ermitteln“.
Was bei dieser Prüfung herauskam, wurde „regelmäßig, aber nicht immer umgehend“ an das hessische Innenministerium übermittelt. Um etwas mehr Struktur in die Aufarbeitung zu bekommen, verpflichtete Hessens damaliger Innenminister Boris Rhein (CDU) das Landesamt, einen Bericht zu seiner Arbeit im Fall NSU zu erstellen. Das Ergebnis lag im November 2014 vor. Und sollte für 120 Jahre geheim gehalten werden. Nach dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke im Jahr 2019, heftiger öffentlicher Kritik an der Geheimhaltung und jahrelangen Anstrengungen von Aktivist*innen und Hinterbliebenen der Opfer („Gebt die Akten frei!“) wurde die Frist auf 30 Jahre herabgestuft – mit Möglichkeit der Verlängerung. Damit hätte der Bericht frühestens im Jahr 2044 öffentlich werden können.
Seit Freitag ist er nun aber frei im Internet verfügbar: Die Sendung „ZDF Magazin Royale“ von Jan Böhmermann und das Portal Frag den Staat haben den Bericht zugespielt bekommen und – mit wenigen Schwärzungen – für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Daraus stammen auch die obigen Zitate.
Was steht drin? Details über die Morde des NSU oder über weitere Mittäter erfährt man praktisch nicht. Das liegt zum einen daran, dass der Fokus auf der Auswertung liegt, darauf, ob der Verfassungsschutz seine Arbeit richtig gemacht hat. Konkrete Informationen zu Personen und Vorgängen erhält man nur wenige, teils wird lediglich auf Aktenzeichen verwiesen. Zum anderen liegt es daran, dass der Verfassungsschutz nach eigenen Angaben selbst kaum wesentlich neue Erkenntnisse aus seinem Aktenstudium gewonnen hat.
Das wiederum hat auch zwei wesentliche Ursachen: „Aus dem Bereich der Auswertung konnte der Verbleib von 541 Aktenstücken … nicht geklärt werden“, heißt es im Bericht. Über 500 möglicherweise sehr relevante Akten waren also einfach nicht auffindbar. Ob auch die vom Bundesamt geschredderten dazu zählen, ist nicht bekannt. „Eine abschließende Sicherheit, dass Personen, Objekte und Ereignisse“ im Zusammenhang mit dem NSU stehen, ließe sich aber nur „durch eine Sichtung der nicht auffindbaren Aktenstücke“ erzielen, resümiert der Bericht.
Doch das ist nicht die einzige Verfehlung, die dort aufgelistet wird. Akten wurden chaotisch geführt, sodass eine Person teils bis zu 15 verschiedene Aktenzeichen hatte, die nicht alle am gleichen Ort abgeheftet wurden. Interessanten Hinweisen oder Anhaltspunkten sei „nicht immer konsequent nachgegangen“ worden. Auch nach Hinweisen, dass als rechtsextrem bekannte Personen Waffen besäßen, wurde häufig nicht kontrolliert, ob diese rechtmäßig erworben worden waren und ihre Besitzer über einen Waffenschein verfügten.
Der Bericht resümiert selbstkritisch, aber zurückhaltend: Die „Aktenführung und die damit verbundene Dokumentation von Arbeitsschritten im LfV Hessen [waren] insbesondere in den 1990er Jahren nicht gut.“
Härter fällt das Urteil der Rechercheplattform Exif Recherche aus, die den Bericht detailliert analysiert hat: Der Geheimbericht zeige eklatante Analyse- und Wissensdefizite des hessischen Inlandsgeheimdienstes. „Den Mitarbeitenden fehlt offensichtlich die Kompetenz, die Informationsbausteine zu einem Gesamtbild zusammenzufügen, rechten Terror zu erkennen und dessen Netzwerke zu begreifen.“ Das übernimmt dann Exif Recherche und geht auf der eigenen Webseite detailliert auf Personen und Fälle ein, die „nahezu alle zum Zeitpunkt der Erstellung des Berichts bereits öffentlich bekannt oder Teil von Ermittlungsverfahren“ waren.
Auffällig an dem Bericht des hessischen Verfassungsschutzes ist auch, dass manche grundlegende Fakten zum NSU nicht stimmen oder zurechtgebogen wirken. So heißt es zu Beginn, der NSU sei am 10. November 2011 bekanntgeworden. Tatsächlich war die Selbstenttarnung am 4. November, als Böhnhardt und Mundlos tot in ihrem Wohnmobil in Eisenach aufgefunden wurden und Zschäpe ihre Wohnung in Zwickau abbrannte und Bekennervideos versandte.
Statt von einer Selbstenttarnung zu sprechen, heißt es im Bericht, das Auffliegen des NSU sei das Ergebnis polizeilicher Ermittlungen gewesen. Und schließlich wird mehrfach von einem Trio gesprochen, ohne anzuerkennen, dass der NSU ein Netzwerk war, das über die zwei Uwes und die mittlerweile verurteilte Beate Zschäpe hinausging.
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