Verfassungsschutz im Extremismuskampf: Dienst sucht V-Männer im linken Milieu
In Neuruppin versucht der Verfassungsschutz einen Jugendlichen als V-Mann für einen alternativen Jugendclub anzuwerben.
Dreimal soll "Herr Damm" den jungen Jugendclubbesucher abgefangen haben, an dessen Auto und am Handy. Zuerst Anfang Oktober, das letzte Mal Anfang November. Er sei vom Verfassungsschutz, habe sich der unscheinbare Mann vorgestellt. Er wisse, dass der Jugendliche "ganz schön tief drinhänge" in der linken Szene. Ob er nicht gegen Bezahlung Informationen über das Geschehen im linken Jugendclub "Mittendrin" preisgeben wolle? Der 20-Jährige lehnte ab.
So erzählt es Oliver Leonhardt, Mitarbeiter in dem selbstverwalteten Jugendzentrum im märkischen Neuruppin. "Das ist skandalös, der Verfassungsschutz versucht eine unglaube Einschüchterung." Nicht zum ersten Mal, wie Leonhardt betont.
Bereits im Frühjahr attestierte der Verfassungsschutz dem Mittendrin in seinem aktuellen Jahresbericht "Bezüge zu linksextremistischen Bestrebungen". Der Verein klagte, der Verfassungsschutz musste die Passagen streichen. "Der Anquatschversuch wirkt jetzt wie ein Racheakt", kritisiert Leonhardt. "Die Kriminalisierung unserer Jugendarbeit muss endlich aufhören."
Am heutigen Samstag soll um
13 Uhr mit einem "Silentmob" vor dem Brandenburger Tor der Opfer rechtsextremer Gewalt gedacht werden. Die über das Internet organisierte Gedenkminute findet parallel in mehreren deutschen Städten statt. Anlass ist die Mordserie dreier Thüringer Neonazis. Ein Aufruf kritisiert auch den Alltagsrassismus in Deutschland und die "entmenschlichte Sprache" von Berichten über die getöteten Migranten.
Bereits um 12 Uhr wollen Antifa-Gruppen mit einer Demo vom Kottbusser Tor nach Mitte gegen die Neonazimordserie und "staatliche Verstrickungen" protestieren. 500 Teilnehmer werden erwartet. (taz)
Als "geschmacklos" bezeichnet der Linken-Abgeordnete Andreas Bernig die versuchte Spitzelwerbung. Dem Jugendclub werde offenbar versucht "durch die Hintertür" beizukommen. "Der Versuch zeigt aber vor allem eines", so Bernig. "Den Dilettantismus des Verfassungsschutz." Angesichts der bekanntgewordenen Neonazi-Mordserie beweise beweise die Behörde damit eine "unglückliche Prioritätensetzung". Die Linke werde den Vorfall im Innenausschuss vorbringen, kündigt Bernig an.
Die Neuruppiner Stadtspitze wollte sich zu dem Vorfall nicht äußern. Im märkischen Innenministerium hieß es, man erteile keine Auskünfte zu Maßnahmen des Verfassungsschutz. Sprecher Ingo Decker betonte aber zweierlei: Der Behörde stehe rechtlich der Einsatz von V-Leuten zu. Und der Jugendclub selbst stehe "nicht im Visier des Verfassungsschutz".
Offenbar aber einige seiner Gäste. Der Verfassungsschutz nennt etwa die inzwischen aufgelöste Punkband Krachakne, die mit "linksextremistischer Hassmusik" im Haus aufgetreten sei. Ein Prozess gegen die Musiker wurde hingegen im Juli eingestellt. Das Mittendrin wurde derweil im Oktober mit dem Julius-Rumpf-Preis ausgezeichnet, dotiert mit 10.000 Euro: für sein "kontinuierliches Engagement gegen menschenfeindliches Gedankengut".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich