Verfassungscheck für Staatsdiener: Berufsverbot heißt in Hamburg jetzt Regelanfrage
Ein Berufsverbotsopfer hat das Bundesverdienstkreuz bekommen. Auf der Verleihung warnte er vor Hamburgs neuer Regelanfrage beim Verfassungsschutz.
Es war eine ungewöhnliche Ehrung am Montag im Hamburger Rathaus. Hans-Peter de Lorent, der in den 1970ern Opfer eines Berufsverbotsverfahrens war, erhielt für seine Publikationen „Täterprofile“ über Hamburger Schulleiter im Nationalsozialismus von Schulsenatorin Ksenija Bekeris (SPD) den Bundesverdienstorden überreicht.
Der Geehrte nutzte die Gelegenheit, um Kritik daran zu üben, dass Hamburg für Bewerbungen beim öffentlichen Dienst wieder eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz plant. „Ich bin darüber ein bisschen erschrocken“, sagte de Lorent. „Dies ist etwas, was mir nicht gefällt.“
Der rot-grüne Senat, der im Oktober einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegte, argumentiert mit der Sorge der Unterwanderung des Staatsdienstes durch Islamisten. De Lorent, der selber als Lehrer Opfer der Berufsverbotspraxis wurde, hatte seine Kritik bereits zuvor öffentlich geäußert, auch in der taz. Er habe seither viele Gespräche geführt und wisse, dass sich dieses Vorhaben nicht absichtlich gegen linke Lehrer richte, sondern gegen die Gruppe, die „Das Kalifat ist die Lösung“ propagiere, sagte er.
Ihn besorge aber, dass im Zuge dieser Regelung auch junge Menschen, die sich etwa bei Fridays für Future engagieren, erfasst werden. „Das bewegt mich wirklich“, sagte de Lorent. Er verwies auf Bayern, wo der Klimaaktivistin Lisa Poeltinger der Eintritt ins Lehramtsreferendariat verwehrt wurde, weil sie Begriffe wie „Profitmaximierung“ benutzt hatte, die als kommunistisch gewertet worden seien. „Ich hoffe, dass hier in Hamburg anders verfahren wird.“ Er verwies darauf, dass Hamburgs Bürgerschaft sich erst vor drei Jahren für die Berufsverbote der 1970er entschuldigt hatte.
Breite Kritik an der neuen Hamburger Regelabfrage
Schulsentorin Ksenija Bekeris würdigte de Lorents Arbeit, habe er doch schon 1986 mit dem Buch „Schule unterm Hakenkreuz“ Pionierarbeit geleistet, und ging auch auf seine Kritik ein. Dass jemand wie de Lorent, der selber ein Berufsverbot erlebte, die ehrliche Sorge hat, dass Kinder und Jugendliche abgeschreckt werden, „das kann ich annehmen“, sagte sie. Doch man werde in Hamburg vor dem Hintergrund darauf achten, dass dies nicht passiert und eine rechtsstaatliche Lösung schaffen, so Bekeris.
Ursprünglich hatte der Hamburger Senat es eilig mit der neuen Regelabfrage. Eigentlich sollte sie schon im Januar 2026 in Kraft treten. Sie soll dann für fünf Jahre gelten. Doch die Kritik an dem Verfahren wird breit getragen. So lässt etwa der Deutsche Gewerkschaftsbund Nord (DGB-Nord) in einer ausführlichen Stellungnahme an dem Vorhaben kein gutes Haar.
Er wirft dem Senat vor, härter als alle anderen Bundesländer vorzugehen, weil nicht nur Beamte, sondern auch Angestellte und sogar studentische Hilfskräfte überprüft werden sollen. Dem neuen „Bündnis gegen Berufsverbote“ gehört sogar die Grüne Jugend an.
Tatsächlich wird nun die Verabschiedung der Regelung etwas länger dauern als geplant. Der Innenausschuss beschloss vergangene Woche, noch eine Anhörung mit Sachverständigen und mit dem Senat durchzuführen. „Sorgfalt und umfassender Dialog geht vor Schnelligkeit“, sagt die Fraktionschefin der Grünen, Sina Imhoff.
Was ist der Unterschied zu Berufsverboten der 1970er?
Angesprochen auf die Kritik sagt Imhoff: „Wir nehmen die Sorgen sehr ernst und sagen klar: Wir wollen, dass sich gerade junge Menschen politisch engagieren.“ Zugleich leben wir aber nicht mehr in den 1970ern und die rechtlichen Beschränkungen, nach denen der Verfassungsschutz Informationen erheben, speichern und verarbeiten dürfe, seien heute „deutlich strenger als vor 50 Jahren“.
Den Unterschied zu den Berufsverboten der 1970er, so argumentieren die Regierungsfraktionen von SPD und Grünen, mache, dass es diesmal ein parlamentarisches Verfahren gibt. „Die damaligen Berufsverbote hatten ihre Grundlage in einem Ministerialbeschluss ohne parlamentarische Beteiligung“, sagt der innenpolitische Sprecher der SPD, Sören Schumacher. Und zur Kritik sagt er: „Eine Regelanfrage führt nicht zu politischer Einschüchterung. Denn wer sich politisch engagiert, wird nicht vom Verfassungsschutz beobachtet.“ Das tue dieser nur, wenn ein „hinreichend gewichtiger Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen“ vorliege.
Dem gegenüber schreibt der DGB-Nord in seiner Stellungnahme, dass der Gesetzentwurf in der Tradition des Radikalenerlasses der 1970er-Jahre stehe, als insgesamt 3,5 Millionen Menschen überprüft wurden, was zu rund 11.000 offiziellne Berufsverbotsverfahren führte. Dies habe, bis auf wenige Ausnahmen, „überwiegend politisch Aktive des linken Spektrums“ getroffen.
Der Ex-Betroffene de Lorent befürchtet nun zudem ein Aufblähen des staatlichen Apparats. Für die Regelabfrage müsste die Behörde sehr viele zusätzliche Personen einstellen. „Da werden Spitzeldienste organisiert“, hatte er in der taz gewarnt.
Grüne Jugend ist nicht begeistert
Doch nach neuem Personalbedarf gefragt, sagt Sören Schumacher: „Quantitativ wird sich die Zahl der Anfragen durch die Regelabfrage um schätzungsweise zehn Prozent erhöhen“. Auch werde lediglich geprüft, ob der Bewerber in den Daten des Verfassungsschutzes einen Treffer erlangt. Zudem habe die Stadt den Verfassungsschutz bereits deutlich verstärkt. Die Zahl der Mitarbeiter sei seit 2015 um rund ein Drittel auf 220 gestiegen. Die Grüne Sina Imhoff sagt dazu, es könne sich „an einzelnen Stellen“ ein Mehrbedarf ergeben.
Die Grüne Jugend ist indes nicht begeistert. Die Regelanfrage erzeuge ein „Klima der Angst vor freier Meinungsäußerung“, warnt ihr Sprecher Leon Meyer. Das könne auch zu Berufsverboten für Menschen führen, die mit zivilem Ungehorsam auf die Klimakrise aufmerksam machen. Carro Göbel von der Grünen Jugend ergänzt, die Regelanfrage sei ein teures und grundrechtsverletzendes „Placebo“, das nicht funktioniere. Denn wo solche Überprüfungen längst existieren, bei Polizei, Justiz und Bundeswehr, seien rechtsextreme Netzwerke immer wieder ungestört gewachsen.
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