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Verfassungsbeschwerde von PapierlosemAngst vorm Arztbesuch

Ein papierloser Kosovare klagt auf medizinische Versorgung. Bisher führen Anträge auf Kostenübernahme zur Abschiebung – das könnte sich ändern.

Angst vor Abschiebung: Illegalisierte sind auf ehrenamtliche Sprechstunden wie diese angewiesen Foto: Stefan Boness/Ipon

Freiburg taz | Auch Menschen ohne Aufenthaltsrecht sollen Zugang zu ärztlicher Versorgung haben – ohne Angst abgeschoben zu werden. Deshalb hat ein 52-jähriger Kosovare, der ohne geregelten Aufenthalt in Deutschland lebt, jetzt Verfassungsbeschwerde eingelegt. Er muss allerdings kämpfen, dass er überhaupt klagen kann. Die 126-seitige Klage liegt der taz vor.

Der Mann aus dem Kosovo kam 1993 als junger Mann nach Deutschland, arbeitete auf dem Bau und in der Landwirtschaft. Er heiratete und wurde geschieden. Eigentlich hätte er Anspruch auf festen Aufenthalt, ja sogar auf eine Einbürgerung gehabt.

Doch dann versäumte er, seine Aufenthaltserlaubnis verlängern zu lassen, und teilte der Ausländerbehörde auch einen Umzug nicht mit. Plötzlich hatte er kein Aufenthaltsrecht mehr und wurde 2017 abgeschoben. Da er aber im Kosovo keine Familie und Freunde mehr hatte, war er bald wieder in Deutschland und stellte einen Asylantrag, der abgelehnt wurde. Seitdem lebt und arbeitet er illegal in Deutschland.

Im Vorjahr erlitt der Kosovare bei der Arbeit einen Herzinfarkt und wurde notoperiert. Vermutlich ist noch eine Bypassoperation notwendig. Dafür bräuchte er aber vom Sozialamt in Frankfurt am Main einen Behandlungsschein, da er keine Rücklagen hat, um den medizinischen Eingriff selbst zu bezahlen. Das Sozialamt müsste ihn jedoch laut Gesetz beim Ausländeramt melden, und er würde dann abgeschoben.

Meldepflicht zur Abschiebung

Dass alle Behörden illegalisierte Personen dem Ausländeramt melden müssen, wurde 1990 eingeführt. Seit 2011 gibt es immerhin eine Ausnahme für Schulen und Kindergärten. Die Meldepflicht für Sozialämter blieb aber bestehen. Nur bei Eilfällen am Feierabend oder am Wochenende können Ärzte und Kliniken die Kosten mit dem Sozialamt abrechnen, ohne dass eine Meldepflicht ausgelöst wird.

Mit seiner Verfassungsbeschwerde will der Kosovare nun gegen die Meldepflicht in Paragraf 87 des Aufenthaltsgesetzes vorgehen. Die Meldepflicht verstoße gegen sein Grundrecht auf das „gesundheitliche Existenzminimum“, einen Unterfall der Menschenwürde. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die die Klage unterstützt, sieht gute Erfolgsaussichten. Schon 2012 entschied das Bundesverfassungsgericht: „Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.“

Außerdem stützt sich der Kosovare auf das Grundrecht auf Datenschutz („informationelle Selbstbestimmung“). Die Weitergabe seiner Daten an das Ausländeramt sei ein unverhältnismäßiger Eingriff und schon im Ansatz ungeeignet. Da Illegale aufgrund der Meldepflicht so gut wie nie beim Sozialamt Behandlungsscheine beantragen, werden so auch keine Illegalen entdeckt; die Meldepflicht diene nur der Schikane und Abschreckung.

Bisherige Klagen des Kosovaren wurden von den hessischen Verwaltungsgerichten allerdings ohne jede Prüfung seiner Argumente abgewiesen. Grund: Der Kosovare will weder Name noch ladungsfähige Adresse angeben, denn auch Gerichte seien zur Meldung von Illegalen verpflichtet. In seiner Verfassungsbeschwerde beruft sich der Mann deshalb auch auf das „Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz“.

Außerdem hat er in Karlsruhe einen Antrag auf eine einstweilige Anordnung gestellt. Zumindest mit einer vorläufigen Entscheidung dürfte also schon in wenigen Wochen zu rechnen sein.

Denkbar ist auch noch eine politische Lösung. So heißt es im Ampel-Koalitionsvertrag: „Die Meldepflichten von Menschen ohne Papiere wollen wir überarbeiten, damit Kranke nicht davon abgehalten werden, sich behandeln zu lassen.“ Zuständig ist Innenministerin Nancy Faeser (SPD). Bisher hat sie aber noch keinen Gesetzentwurf vorgelegt.

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3 Kommentare

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  • Was versteht "man" denn unter "effektivem Rechtsschutz ? In NRW sind Widerspruchsverfahren gegen den Staat und seine nachgeordneten Behörden und Körperschaften praktisch abgeschafft und statt eines naheliegenden Widerspruchsverfahrens, in dem kostengünstig eine Prüfung stattfinden könnte, wird der Rechtssuchende in NRW in ein mit erheblichen Gerichtskosten verbundenes Verwaltungsgerichtsverfahren gezwungen. Ist das schon eine Verweigerung von effektivem Rechtsschutz?

  • Die Unterscheidung zwischen akuten Notfällen und dauerhafter Behandlung ist sinnvoll. Bei einem Herzinfarkt wird niemand erst lange nach der Aufenthaltsstatus gefragt, sondern es wird sofort geholfen. Und das ist auch gut so. Bei weitergehenden Verpflichtungen sieht es aber anders aus: Warum sollte die Gesellschaft und die Solidargemeinschaft dauerhaft Behandlungskosten für Menschen tragen, deren Asylantrag von Behörden und Gerichten abgelehnt wurde und die sich trotzdem hartnäckig weigern, auszureisen?

    Wenn das rechtsstaatlich festgestellte Ergebnis der vielen langwierigen Asylverfahren am Ende nicht relevant ist, könnte man sich das ganze Antragssystem und alle gerichtlichen Überprüfungen durch alle Instanzen besser sparen. Dann wäre es ehrlicher zu sagen: jeder der kommt, darf bleiben.

  • Wahnsinn, solche eine Biografie und so eine Notlage.



    ich wünsche dem albanischen Arbeiter und allen anderen viel Erfolg!