Verfassungsänderung in der Türkei: Mehr Macht für Erdoğan
Der türkische Präsident will ein Präsidialsystem mit sich selbst an der Spitze schaffen. Die Oppositionspartei MHP erklärt sich zur Zusammenarbeit bereit.
„So Gott will, werden wir unseren Vorschlag zur Verfassungsänderung kommende Woche dem Parlament vorstellen“, sagte Ministerpräsident und AKP-Chef Binali Yıldırım am Donnerstag in Ankara.
Sollten die Abgeordneten dem Vorschlag zur Einführung eines Präsidialsystems in der Türkei mit der erforderlichen 60-Prozent-Mehrheit zustimmen, könne es zu Beginn des Sommers zu einem Referendum kommen.
Staatschef Recep Tayyip Erdoğan strebt ein Präsidialsystem mit sich selbst an der Spitze an. Seit seinem Amtsantritt im August 2014 bestimmt Erdoğan den Kurs der Regierung und der AKP, obwohl diese Rollen in der Verfassung eigentlich dem Ministerpräsidenten und Parteichef vorbehalten sind. Mit der Verfassungsänderung soll Erdoğans Führung legalisiert werden.
Yıldırım äußerte sich nach einem Treffen mit dem Chef der ultranationalistischen MHP, Devlet Bahçeli. Bahçeli hat Unterstützung für die Verfassungsänderung signalisiert.
Präsident ohne parteipolitische Neutralität?
Die Opposition hatte sich ursprünglich geschlossen gegen die neue Regierungsform gestellt, die Erdoğan ihrer Ansicht nach zu viel Macht geben würde. Doch Bahçeli erklärte sich kürzlich bereit, den Plänen der Regierungspartei AKP bei einer Abstimmung im Parlament unter bestimmten Voraussetzungen zuzustimmen.
Das Treffen am Donnerstag habe dazu gedient, die Differenzen auszuräumen, hieß es aus Yıldırıms Büro. Der Regierungschef erklärte, der neue Entwurf für das Parlament werde Forderungen der MHP berücksichtigen. Bahçeli sprach im Anschluss von einer positiven Unterredung.
Yıldırım sagte, wichtigster Punkt der geplanten Verfassungsänderung sei, dass dem Präsidenten künftig keine parteipolitische Neutralität mehr vorgeschrieben werde. Der Vorschlag werde von der AKP eingebracht, sei aber mit der MHP abgestimmt.
AKP und MHP haben gemeinsam mehr als die 330 Sitze, die vorgeschrieben sind, um ein Referendum in die Wege zu leiten. Mit einer Zweidrittelmehrheit wäre eine Verfassungsänderung ohne Referendum möglich. Yıldırım hat aber angekündigt, in jedem Fall das Volk abstimmen zu lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Wir unterschätzen den Menschen und seine Möglichkeiten“