Verfassungsänderung in Russland: Putins Blitzoffensive
Um breite Debatten zu verhindern, baut der Kreml das Staatsgefüge im Eiltempo um. Die Opposition ist ratlos.
T ag eins: Russlands Präsident Wladimir Putin hält seine Rede an die Nation. Die Regierung geht. Tag zwei: Ein neuer Premier ist ernannt. Tag drei: Die Arbeitsgruppe für die von Putin vorgeschlagenen Verfassungsänderungen hat getagt. Tag fünf: Putin legt dem Unterhaus des russischen Parlaments ein Gesetzespaket zur „Vervollkommnung der Regulierung bestimmter Fragen der Organisation öffentlicher Macht“ vor. Tag sechs: Eine neue Regierung steht. An Tag acht, am Donnerstag, soll das Parlament bereits über die Verfassungsänderungen beraten. Zustimmung der Abgeordneten ist geradezu Staatspflicht.
Es gibt wenige Dinge in Russland, das zeigen die vergangenen Tage, die so schnell funktionieren wie das Umschreiben der Verfassung. Das Eiltempo, mit dem der Kreml im Moment an den Umbau des Staatsgefüges geht, ist die Überrumpelungstaktik eines Mannes, der qua seiner Ausbildung im sowjetischen Geheimdienst Spezialoperationen schätzt. „Verfassungsblitzkrieg“ nennt so mancher in Russland denn auch die Schaffung von Strukturen, mit der Putin Macht abgibt und sie doch behält.
Der Arbeitseifer, der derzeit in Moskau herrscht, dient einem groß angelegten Ablenkungsmanöver. Eine breite politische und gesellschaftliche Debatte, die Putin bei seiner Rede in Aussicht stellte, kann es in diesem kurzen Zeitraum gar nicht geben – und soll es auch nicht. So schafft Putin ein System, von dem bislang niemand sagen kann, in welche Richtung es weist. Zurück bleiben Spekulationen – und allerlei Optionen für den Präsidenten, wie es nach 2024, wenn seine Amtszeit endet, für ihn weitergehen soll.
Die russische Gesellschaft als solche hat dazu bislang keine Position. Selbst die Opposition steht ohnmächtig und gespalten daneben, spricht von einem „Staatsstreich“ – und hat keine Antwort auf die umfassenden Einschnitte im Staatsgefüge. Den Moment der Verblüffung hat Putin bereits 2014 genutzt, als er die Krim im Schnelldurchlauf zu Russlands Herrschaftssubjekt machte. Nun versucht er erneut, Euphorie zu entfachen. Die Russen aber sind erst einmal nur eins: verwirrt.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Krieg in der Ukraine
Keine Angst vor Trump und Putin