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Verfahren nach Protesten in KubaProzesse zur Abschreckung

In vier Sammelprozessen urteilt Kubas Justiz über 60 Angeklagte, die im Rahmen der Proteste vom 11. Juli 2021 Straftaten verübt haben sollen.

Kuba, San Antonio de los Baños am 11. Juli 2021: Hier nahmen die Proteste ihren Anfang Foto: Yander Zamora/EFE/epa

Hamburg taz | Der verantwortliche Staatsanwalt heißt Fernando Valentin Sera Plenas. Das Delikt, um das sich in dem Prozess in der Stadt Holguín ganz im Osten Kubas alles dreht: Sedición. Das bedeutet so viel wie Aufruhr, und dafür beträgt die von der Staatsanwaltschaft geforderte Haftstrafe 30 Jahre.

30 Jahre fordert die Staatsanwaltschaft für vier mindestens vier erwachsene Männer, die wie Tausende andere auch am 11. Juli letzten Jahres in Kuba auf die Straße gingen, demonstrierten und Parolen riefen. Der Tag ging in die Geschichte ein als erster inselweiter Protest gegen die miserable ökonomische Lage, aber eben auch gegen die Regierung von Miguel Díaz-Canel.

Die hat früh angekündigt, dass Straftatbeständen nachgegangen werde, dass ermittelt und verurteilt werde. Das nimmt derzeit in Kuba Form an. Eine erste Welle von vier Sammelprozessen läuft seit letzter Woche. Einer ist in Holguín angesetzt, ein weiterer in Santa Clara sowie je einer in der Hauptstadt Havanna und im benachbarten Verwaltungsdistrikt Mayabeque.

Die vier Prozesse sorgen zumindest in den sozialen Netzwerken für gehöriges Aufsehen, nicht aber in den offiziellen Medien. Dort herrscht Funkstille. Die kubanische Regierung berichte generell nicht über die Strafprozesse rund um den 11. Juli, heißt es lapidar in Havanna.

Die Prozesse sind eine Absage an jeden Dialog

Obendrein sind die Verfahren nicht öffentlich, auch wenn sie durchaus im öffentlichen Interesse sind, nicht nur, weil in vielen Orten öffentliche Infrastruktur zerstört wurde. In Cárdenas etwa, einer mittelgroßen Stadt nahe den Touristenstränden von Varadero, wurden am 11. Juli Supermärkte und die Tankstelle geplündert und zerstört, berichtet eine anonym bleiben wollende Mitarbeiterin einer Hilfsorganisation.

„Die Lage ist prekär, wer kann, wandert aus, und die Prozesse drehen weiter an der Schraube“, meint die Frau von Anfang 40. Für sie ist die erste Welle von Prozessen, die jetzt nach einigen wenigen Schnellverfahren direkt im Anschluss an den 11. Juli folgt, eine neuerliche Absage an den Dialog.

Genau deshalb haben auch die von der Staatsanwaltschaft geforderten Haftstrafen Symbolcharakter, kritisiert die Facebook-Gruppe Justicia 11J. Die arbeitet auf der Insel, berät und begleitet Angehörige von inhaftierten De­mons­tran­t:in­nen und arbeitet seit Monaten eng mit CubaLex zusammen, einer im US-Exil sitzenden juristischen Beratungsorganisationen.

CubaLex hat gemeinsam mit Justicia 11J den Verbleib von Hunderten der insgesamt 1.339 Festgenommenen geklärt. Von denen warten 710 weiterhin in Haft auf ihren Prozess, darunter 14 Minderjährige.

Anklage Minderjähriger ruft Unicef auf den Plan

Diese 14 Halbwüchsigen müssen sich in den vier laufenden Prozessen nun verantworten, und allein das hat dazu geführt, dass sich Unicef im November mit einer offiziellen Anfrage an die kubanischen Behörden gewandt hat. Hintergrund ist, dass Kuba die UN-Kinderrechtskonvention unterzeichnet hat. Demzufolge sind Jugendliche international erst ab 18 Jahren strafmündig und werden meist nach Jugendstrafrecht be- und verurteilt.

Das ist in Kuba anders, denn dort sind die Jugendlichen bereits ab 16 Jahren strafmündig. „Allerdings wurden auch mehrere 15-Jährige festgenommen und bis heute inhaftiert. Das widerspricht den UN-Standards“, kritisiert Laritza Diversent von CubaLex. Die Juristin moniert zudem, dass die Behörden die Gesetze selektiv anwenden und Straftaten von Uniformierten rund um die Proteste nicht geahndet wurden.

CubaLex erhält für ihre juristische Beratungsaktivitäten auch Mittel aus dem US-Haushalt. Ein Grund, weshalb Diversent in Havanna als Marionette des Imperialismus angefeindet wird, was mittlerweile auch für die Gruppe Justicia 11J gelten dürfte.

Beide sind unbequem, denn sie weisen seit dem 11. Juli immer wieder darauf hin, dass die Verfahren auch gegen kubanisches Recht verstoßen, ob bei den ersten Sammelprozessen im Juli, wo teilweise keine Anwälte zugegen waren, oder bei der Anklage gegen Minderjährige.

Bei denen deutet vieles darauf hin, dass bei den laufenden Prozessen nach Erwachsenenstrafrecht agiert und rigoros sanktioniert werden soll. Haftstrafen von 13 bis 23 Jahren stehen für Minderjährige im Raum, weil auch gegen sie der Straftatbestand des „Aufruhrs“ ins Feld geführt wird.

Das scheint bei den vier minderjährigen Angeklagten in Holguín allerdings vom Tisch. Laut Angehörigen und Justicia 11J deutet vieles darauf hin, dass der Straftatbestand „Aufruhr“ bei ihnen fallengelassen wird. Dann ständen nur noch Haftstrafen von fünf bis sieben Jahren für die vier Minderjährigen im Raum.

Ein Erfolg. Doch ein bitterer, denn die Welle der Prozesse hat vor allem ein Ziel, sagt Salomé García von Justicia 11J im Hinblick auf die gewaltige politische Ausstrahlung der Proteste im vergangenen Jahr: „nichts zu ändern“.

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