Verfahren gegen Klimaaktivismus: Protest ist doch wieder legal
Lange verfolgte die Staatsanwaltschaft Verden Aktivist*innen, die sich von einer Autobahnbrücke abgeseilt hatten. Nun ist sie zur Einsicht gekommen.

Sie hat kurz vor der Berufungsverhandlung doch schnell die Einstellung beantragt, und zwar nach Paragraf 154 der Strafprozessordnung.
Das bedeutet: ohne Strafbefehl und so ziemlich ohne Auflagen. Genau genommen haben die nun entlasteten Angeklagten nur versprechen müssen, keinen Schadenersatz für die weggenommenen Demo-Utensilien zu beantragen, ein paar Papierzettel und ein Seilstück. „Darauf haben wir verzichtet“, sagt Ruben, der zur Aktivist*innen-Gruppe gehört, der taz.
Das sei aber auch das einzige Zugeständnis gewesen, das sie der Strafverfolgungsbehörde habe machen müssen. Vermutlich seien die Asservate in ihrer Obhut abhanden gekommen, versehentlich zerstört oder stark ramponiert worden. Die Staatsanwaltschaft selbst sieht sich nicht in der Lage, auf die Fragen der taz zum Vorgang zu antworten. Noch nicht einmal, ob sie sich für dieses Entgegenkommen bedankt hat, konnte sie in der Kürze der Zeit ermitteln.
Grundrecht aus Versammlungsfreiheit
Dieses Unvermögen kann vielleicht als symptomatisch für das gesamte Verfahren gelten. Mindestens wirft es ein Schlaglicht auf die Unsicherheit der Justizbehörden und der Gerichte des ländlichen Raums im Umgang mit dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Denn das Verfahren richtete sich gegen eine der Autobahn-Abseilaktionen im zeitlich-räumlichen Umfeld der Verkehrsminister*innenkonferenz am 15. April 2021. Die fand in Bremen statt.
Die Teilnehmer*innen an gleich gelagerten Demonstrationen – unter anderem war auf einer Autobahn-Schilderbrücke temporär ein Abbiegezeichen mit Ziel Verkehrswende aufgebracht worden – waren in Bremen letztlich unbehelligt geblieben.
Die Staatsanwaltschaft hatte dort Nötigung vermutet, aber sowohl Amts- als auch Landgericht hatten nach kurzer Prüfung die Klage für unzulässig erkannt. Das Bremer Kreuz jedoch liegt auf niedersächsischem Terrain und im Gerichtsbezirk Achim.
Dort schwelte das Verfahren jahrelang, und die Zeit nutzte die Staatsanwaltschaft Verden offenbar nur – die Frage, welche Beweismittel genutzt wurden, ließ die Sprecherin der Staatsanwaltschaft unbeantwortet –, um sich möglichst drastische Vorwürfe auszudenken. „Es geht immer auch um Einschüchterung“, so Aktivist Ruben. „Aber wir haben uns halt nicht einschüchtern lassen.“
Staatsanwaltschaft reagiert nicht
Tatsächlich hatte die Staatsanwaltschaft Verden im Akt, über der A 27 Protestbanner aufzuhängen, sogar eine besonders schwere Nötigung gemeint erkennen zu können nach Paragraf 240, Absatz 4 des Strafgesetzbuchs. Das hat diesen speziellen Vorwurf allerdings für Fälle reserviert, in denen entweder eine Frau zur Abtreibung gezwungen wird oder aber ein Amtsträger wie ein Staatsanwalt oder ein Polizist seine verliehene Macht missbraucht, um etwas zu erpressen.
Zwar hatten die Unions-Fraktionen im Januar 2023 angeregt, den Anwendungsbereich zu erweitern – namentlich auf Straßenblockaden. Aber auch dieser gescheiterte Versuch anderthalb Jahre nach den Achimer Ereignissen belegt: Selbst Befürworter*innen härterer Strafen für Klimaproteste und Autobahn-Abseilaktionen hielten es für nötig, dafür das Gesetz zu ändern.
Das wäre indes verfassungsrechtlich schwierig: Die Oberverwaltungsgerichte haben schließlich festgestellt, dass auch auf Autobahnen demonstriert werden kann, wenn es einen inhaltlichen Zusammenhang gibt wie bei Klima- und Verkehrswende-Aktionen.
Die Anklage der Staatsanwaltschaft Verden hatte 2024 dann aber einfach so getan, als hätte es eine Strafrechtsverschärfung gegeben. Und zugleich hatte sie die Besetzung einer öffentlichen Brücke als Hausfriedensbruch gewertet und angeklagt, ohne dass ein*e Brückenbesitzer*in in Erscheinung getreten wäre, die überhaupt hätte Anzeige erstatten und einen Strafantrag stellen können: Das aber wäre rechtlich zwingend Voraussetzung dafür gewesen, das vermeintliche Delikt zu verfolgen.
Die am Mittwochmorgen übermittelte Frage, ob hier eine politische Motivation die Strafverfolgung beeinflusst hat, beantwortet die Staatsanwaltschaft Verden bis Redaktionsschluss nicht, obwohl sie dazu verpflichtet gewesen wäre.
Das Amtsgericht Achim hätte die Anklage ebenso wenig wie die Bremer Gerichte zulassen dürfen. Stattdessen war es dort im August 2024 zu einem fünftägigen Prozess gekommen und sein Direktor hatte auch gleich noch versucht, eine durchs Grundgesetz geschützte Versammlung in Solidarität mit den Autobahn-Blockierer*innen vor dem Gericht zu verhindern. „Wenn Sie hier nicht runtergehen“, hatte er die Demonstrierenden angepflaumt, „hole ich die Polizei.“ Die kam dann auch, sodass die Kundgebung angemeldet werden konnte.
Dieses kompetente Gericht hatte am Ende eine Geldstrafe verhängt, die nun natürlich hinfällig ist. „Es war uns klar, dass diese Anklage sehr viel heiße Luft enthält“, so Ruben. Gegen die Vorwürfe haben sich die Aktivist*innen mit ihren Laienkenntnissen und Erfahrungen verteidigt: „Ich stehe häufiger vor Gericht“, sagt er. „Das ist so ein bisschen Learning by doing.“
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