Verdrängung von Obdachlosen: Wo Berlin am kältesten ist
Eine Jury hat Berlins obdachlosenfeindlichsten Ort gekürt: Es ist der Hansaplatz, an dem Anwohner*innen und Gewerbetreibende mit verdrängen.
Am Hansaplatz bekam etwa ein öffentlicher Parkplatz unter freiem Himmel eine Höhenbegrenzung von 1,80 Metern. Sodass just der Kleinlaster der Berliner Obdachlosenhilfe dort nicht mehr halten durfte. Die Obdachlosenhilfe hatte dort regelmäßig Essen ausgegeben. Das wiederum war Anwohner*innen und Gewerbetreibenden ein Dorn im Auge, erzählt Andreas Abel vom Verein Gangway, der Straßensozialarbeit betreibt und den Preis initiiert hatte. Außerdem gilt am Hansaplatz eine Platzordnung, die es verbietet, dort zu betteln, zu nächtigen oder Alkohol zu konsumieren, anfänglich war auch der „unnötige Aufenthalt“ verboten.
„All das sind Dinge, die das Bezirksamt im öffentlichen Raum gar nicht verbieten kann, weil es keine gesetzliche Grundlage dafür gibt“, sagte Abel. Nach Protesten wurde die Platzordnung angepasst und gelte nun nur noch im privaten Raum auf dem Platz. Allerdings sei nicht zu erkennen, wo der überhaupt anfange.
Früher sei der U-Bahnhof mal ein Kältebahnhof gewesen, Obdachlose konnten dort übernachten. Auf Betreiben des Bürgervereins Hansaviertel sei er zum Kulturbahnhof erklärt worden und seitdem nachts geschlossen. Betreiber von Supermärkten hätten überlegt, nichts mehr an Obdachlose zu verkaufen und von ihnen kein Pfand mehr anzunehmen. Über Nacht verschwanden zwei denkmalgeschützte Parkbänke. „Dazu hat der sonst so engagierte Bürgerverein kein Wort verloren“, sagte Abel.
Keine Sitzplätze am Ostbahnhof
Es war ein knappes Rennen, verdient hätten die „Goldene Keule“ laut Jury auch die anderen Orte. An zweiter Stelle der Ostbahnhof, an dem Bahn und Bezirk nach und nach fast alle Sitzgelegenheiten abgebaut hätten. „Drei Sitzplätze gibt es dort noch – in einem Buswartehäuschen“, berichtete Daniela Radlbeck vom Paritätischen. Ein anderes Wartehäuschen sei abgebaut worden, eine begrenzende Mauer durch Betonpoller mit spitzen Metalldächern ersetzt. Bänke waren verschwunden.
Nominiert war außerdem der Alexanderplatz, an dem ebenfalls der Aufenthalt verhindert oder ungemütlich gemacht werde und ein seit mehr als zehn Jahren leerstehendes ehemalige Schwesternwohnheim in der Habersaathstraße. Eine Gruppe von obdachlosen Menschen und Unterstützer*innen hatte das Gebäude mit etwa 80 eigentlich bezugsfertigen Wohnungen im Oktober 2020 besetzt, auch um mitten in der Coronapandemie Schutzräume zu ermöglichen. Der Senat ließ das Gebäude nach wenigen Stunden räumen.
„Wir würden die Goldene Keule gern hier in der Mitte auf dem Hansaplatz aufstellen und werden das auch beim Bezirksamt beantragen“, sagte Andreas Abel nach der Verleihung. „Ich denke, das wird das ablehnen. Aber dann stellen wir sie beim Grips ins Fenster, da ist die Keule auch für alle sichtbar.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Wohnungslosigkeit im Winter
Krankenhaus schiebt Obdachlosen in die Kälte