Verdacht auf Kannibalismus in Berlin: Sägen und Blutspuren gefunden
Ein 41-jähriger Berliner steht unter Verdacht, einen seit langem vermissten Mann ermordet und zumindest teilweise aufgegessen zu haben.
Berliner Ermittler gehen davon aus, dass dieses Szenario so oder so ähnlich Wirklichkeit geworden sein könnte und ein 44-jähriger Monteur auf diese Weise Opfer eines Verbrechens wurde. Seit Anfang September wurde der Mann vermisst, seit Donnerstag sprechen die Ermittler von einer tragischen Wende – und von Mord. Es gebe Hinweise auf Kannibalismus. Ein Verdächtiger aus Pankow ist in Untersuchungshaft.
„Einschlägige Werkzeuge“ wie Messer und Sägen sowie Blutspuren seien in der Wohnung des 41-jährigen Verdächtigen gefunden worden, berichtet Martin Steltner, Sprecher der Staatsanwaltschaft, am Freitag. Der Tatverdächtige, ein Deutscher, der Lehrer sein soll, habe zu Kannibalismus im Internet recherchiert und sei auf einer Dating-Plattform mit dem Opfer in Kontakt gewesen.
Ihm wird nun Sexualmord aus niederen Beweggründen vorgeworfen. Hintergrund sei nach Erkenntnissen der Ermittler die Befriedigung des Geschlechtstriebs gewesen, sagte Steltner. Andere Motive, wie Raub oder Hass, seien nicht erkennbar. Es gebe bislang keinerlei Hinweise darauf, dass die Tat im Einvernehmen mit dem Opfer begangen wurde.
Extrem seltene Tat
Sexueller Kannibalismus sei extrem selten, sagt der Kriminalpsychologe Rudolf Egg. Aber es gebe ihn als eine besondere Form der Sexualität. „Der körperliche Akt lässt sich als die Vereinigung zweier Körper beschreiben. Sie werden eins.“ Das sei natürlich nur eine geringe und kurzzeitige Vereinigung. „Aber zu Ende gedacht wäre es, wenn man einen Menschen vollständig in sich aufnehmen könnte.“ So wie man sagt: Ich hab dich zum Fressen gern. „Aber das meint natürlich niemand wörtlich.“
Bei dieser Form von Kannibalismus gehe es um das Aufessen als Zeichen der Sexualität. Und es gebe sexuellen Sadismus, also die Freude daran, jemanden zu quälen. „Das sind beides sexuelle Abweichungen, die weit von der Norm entfernt sind.“ Kannibalismus liege an einem sehr bizarren Ende einer solchen Abweichung. „Natürlich ist es hochgradig gestört, jemanden umzubringen und aufzuessen“, sagt Egg. Das könne eine homosexuelle Ebene haben. „Aber es gibt auch heterosexuellen Kannibalismus.“
Als spektakuläres Verbrechen in Deutschland ist der Fall des „Kannibalen von Rotenburg“ bekannt geworden. Dieser Mann, ein Computertechniker, hatte sein späteres Opfer über eine Kontaktanzeige in einem Internet-Forum kennengelernt. Er schnitt im März 2001 seinem Berliner Internet-Bekannten auf dessen ausdrückliches Verlangen hin zunächst den Penis ab. Später erstach und zerlegte er ihn und aß große Teile des zwischenzeitlich eingefrorenen Menschenfleisches. Das Landgericht Frankfurt verurteilte den Mann 2006 wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. „Er war der freundliche Mann von nebenan“, erinnerte sich sein Verteidiger. Niemand habe ihm das zugetraut.
Ein Taxifahrer half bei der Aufklärung
Auf die Spur des neuen mutmaßlichen Täters kommen die Ermittler in Berlin auch mit Hilfe eines Taxifahrers: Er habe sagen können, wohin die letzte Fahrt des Vermissten führte, berichtet Steltner. Mantrailer-Hunde, die für ihre sehr feinen Nasen bekannt sind, hätten die Beamten zur Wohnung des Verdächtigen geführt. Von dort bis zum Fundort der Knochen in Berlin-Buch, ganz im Norden an der Grenze zu Brandenburg, brauche man eine gute Viertelstunde mit dem Auto.
Als Spaziergänger diese Knochen entdeckten, dachten viele Beobachter noch nicht an einen Zusammenhang mit dem Vermisstenfall. Dann fanden Leichenspürhunde weitere kleinere Knochenfragmente. Sie hätten eindeutig dem Vermissten zugeordnet werden können, sagt Steltner. Beweismittel und Indizien reichten schließlich für einen Haftbefehl.
Das Opfer lebte im Berliner Osten, Bezirk Lichtenberg. Es ist ein Plattenbau in einer einfachen Wohngegend jenseits des S-Bahn-Rings. Hier kennt nicht jeder jeden. An der Tür der Wohnung, in der der Monteur in einer Wohngemeinschaft gewohnt haben soll, klebt ein durchbrochenes Polizeisiegel. Der Mitbewohner habe noch ein paar Dinge holen können, sagt eine Nachbarin. Sie wirkt erschrocken, dass dem unauffälligen Mann so etwas passiert sein soll.
Kurz vor Mitternacht hatte er im September seine Wohnung verlassen und blieb seitdem spurlos verschwunden. Das passte nicht ins Bild, denn der 44-Jährige galt als zuverlässig. Ende September machte die Polizei den Fall erstmals publik und veröffentlichte ein Foto.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier