Verdacht auf Chlorgas im Syrienkrieg: „Bleichhaltige Gerüche“ in Sarmin
Dem UN-Sicherheitsrat liegt ein Video vor, das einen Chlorgas-Angriff in Syrien zeigen soll. Unter den Opfern sind vor allem Frauen und Kinder.
NEW YORK ap | Ein drastischer Augenzeugenbericht über mutmaßliche Chlorgas-Attacken im syrischen Bürgerkrieg hat im UN-Sicherheitsrat tiefe Betroffenheit ausgelöst. Der Arzt Mohammed Tennari führte dem höchsten UN-Gremium am Donnerstag ein Video vor, das einen jüngsten Angriff auf seinen Heimatort Sarmin zeigt.
Darin war der Todeskampf dreier Kinder im Alter von einem bis drei Jahren zu sehen, die trotz mehreren Wiederbelebungsversuchen starben. Die Bilder rührten einige der Spitzendiplomaten zu Tränen. Ob die Emotionen sich in konkrete Schritte überführen lassen, ist angesichts der Blockade im höchsten UN-Gremium jedoch fraglich.
Die mutmaßliche Chlorgas-Attacke auf den Ort Sarmin in der Provinz Idlib soll sich am 16. März zugetragen haben. Der medizinische Behandlungsbereich sei dermaßen beengt gewesen, dass eines der Kinder auf seiner Großmutter gelegen habe, berichtete Tennari. Auch die Oma sei dann gestorben.
„Jeder nahm bleichhaltige Gerüche wahr“, sagte Tennari später vor Reportern. Zudem habe jeder das Geräusch der Helikopter gehört. Bei den meisten Opfern habe es sich um Frauen und Kinder gehandelt. Der Mediziner hatte im vergangenen Monat Opfer von einem halben Dutzend Attacken behandelt und sich mit Hilfe der USA aus Syrien retten können.
An der hinter verschlossener Tür abgehaltenen Sicherheitsratssitzung nahm auch der Arzt Saher Sahlul teil, der am Wochenende Schauplätze jüngster Attacken in dem Bürgerkriegsland besuchte. „Jeder stimmte überein, dass Kinder nicht getötet werden sollten“, erklärte er nach dem Treffen. Alle 15 Sicherheitsratsmitglieder hätten zudem betont, wie wichtig es sei, die Verantwortlichen für die zumeist tödlichen Attacken zur Rechenschaft zu ziehen - mit der Ausnahme Russlands, Chinas und Venezuelas. Jedes Ratsmitglied habe das Video und das Briefing betroffen gemacht, und „einige hätten geweint“, berichtete Sahlul.
Verbot chemischer Kampfmittel
Im März hatte das höchste UN-Gremium zwar eine Resolution verabschiedet, die den Einsatz chemischer Kampfmittel in Syrien untersagt und bei Verstößen mit Schritten droht. Doch wird darin keiner Konfliktpartei die Schuld zugewiesen. In einer Resolution vom Herbst 2013, die die Beseitigung und Zerstörung der syrischen Chemiewaffenbestände anordnete, wurde Chlorgas zudem nicht als chemisches Kampfmittel geführt. Das Gas ist leicht zu bekommen und wird weltweit in der Industrie verwendet.
Die USA und andere Ratsmitglieder wie Großbritannien und Frankreich machen die syrische Regierung für die Chlorgas-Attacken verantwortlich. Schließlich seien diese von Helikoptern ausgeführt worden, über die nur die Führung in Damaskus verfüge, argumentieren sie. Syrien hat den Einsatz von Chemiewaffen oder Chlorgas durch Regierungstruppen zurückgewiesen und „Terroristen“ dafür verantwortlich gemacht. Sicherheitsratsmitglieder haben die Organisation für das Verbot chemischer Waffen damit beauftragt, die jüngsten Attacken zu untersuchen.
Am Freitag trifft der syrische Arzt Tennari mit der russischen UN-Mission und anderen Diplomaten zusammen. Moskau gilt als engster Verbündeter der syrischen Regierung und hat mit seinem Veto im Sicherheitsrat mehrmals geplante Interventionen im Bürgerkriegsland verhindert. Die USA hoffen nun, dass Tennari die russische Delegation umstimmen kann.
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