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Verbrechen der Colonia Dignidad in ChileGedenken und Dokumentieren

Deutsche und chilenische Ex­per­t*in­nen stellen ihr Gedenkstättenkonzept zur Colonia Dignidad vor. Sie fordern weitere Aufklärung.

Angehörige erinnern an die Opfer der Colonia Dignidad in Chile Foto: Benjamín Hernández/imago

Vor vier Jahren beschloss der Bundestag einstimmig, die Bundesregierung solle die Verbrechen der Colonia Dignidad aufarbeiten. Zentrale Forderungen dieses Beschlusses: die Aufklärung fördern, ein Hilfskonzept für Opfer der Sekte entwickeln, die Besitzverhältnisse der ehemaligen „Kolonie“ klären. Und vor allem: Gemeinsam mit der chilenischen Regierung einen Gedenk- und Dokumentationsort schaffen.

Denn seit der Gründung der deutschen Sektensiedlung in Chile 1961 gehörten sexualisierte Gewalt, Freiheitsberaubung sowie unentlohnte Zwangsarbeit zum Alltag vieler der rund 300 Bewohner*innen. Chi­le­n*in­nen aus der Umgebung wurden teils unter Zwang adoptiert und denselben Bedingungen unterworfen. Familien von Land­ar­bei­te­r*in­nen wurden aus dem Gebiet vertrieben.

Die Sektenführung um Paul Schäfer kooperierte eng mit der Pinochet-Diktatur und ihrem Geheimdienst Dina. Hunderte Oppositionelle wurden in der Colonia Dignidad gefoltert, Dutzende ermordet, ihre Leichen verscharrt, später ausgegraben und verbrannt. Die Bundesregierung wusste um Folter, Missbrauch und Zwangsarbeit in der Colonia Dignidad. Sie verhinderte die Verbrechen nicht. Oftmals unterhielt sie sogar gute Beziehungen zur Sektenführung.

Seit 2016 stehen Teile der Villa Baviera, wie sich die Siedlung seit 1988 nennt, unter Denkmalschutz. Bis heute prägt ein Tourismusbetrieb mit Hotel-Restaurant im bayerischen Stil das Bild.

Viele Leichen wurden nie gefunden

Nach dem Bundestagsbeschluss von 2017 bildeten die deutsche und die chilenische Regierung eine bilaterale Kommission. In deren Auftrag erstellte ein vierköpfiges deutsch-chilenisches Ex­per­t*in­nen­team ein Konzept für eine Gedenkstätte, in der die Geschichte der verschiedenen Opfergruppen abgebildet werden soll. Im Mai wurde über dieses Konzept beraten. Ende Juni stellten die Ex­per­t*in­nen Elke Gryglewski, Elizabeth Lira, Jens-Christian Wagner und Diego Matte es öffentlich vor.

Demnach soll der Gedenk-, Dokumentations- und Lernort an der historischen Stätte der ehemaligen Colonia Dignidad errichtet werden. „Nur hier kann der Opfer angemessen gedacht werden“, erklärt der Historiker Jens-Christian Wagner. Da die Leichen der in der Colonia ermordeten Gefangenen nie gefunden wurden, gebe es für ihre Angehörigen keinen anderen Ort zum Trauern als die Massengräber auf dem Siedlungsgelände.

Mittels historischer Zeugnisse und Ausstellungen müsse die Geschichte außerdem dokumentiert und erklärt werden, betont Wagner, der in deutschland die Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora leitet. Dazu sollten Gebäude, Gräber sowie Dokumente vor Ort konserviert, ausgestellt und möglicherweise zur juristischen Aufklärung herangezogen werden.

Spätere Generationen sollten aus der Auseinandersetzung mit der Geschichte am historischen Ort lernen können. Das Ziel sei, „historisches und demokratisches Bewusstsein zu fördern“, so Wagner.

Moralische und psychologische Wiedergutmachung

Elke Gryglewski, Leiterin der Gedenkstätte Bergen-Belsen, erläutert den dezentralen Konzeptvorschlag des Ex­per­t*in­nen­teams. Demnach sollen „die Geschichte und das spezifische Leid der einzelnen Opfergruppen an unterschiedlichen Orten“ des Geländes mit kleinen Ausstellungen dargestellt werden. Das entspreche auch den Wünschen der Betroffenen, betont Gryglewski, die seit 2014 Workshops zum Thema mit Opfern der Colonia Dignidad organisiert.

„Mahnmale und Gedenkorte leisten einen Beitrag zu Anerkennung und moralischer sowie psychologischer Wiedergutmachung für die Opfer“, erklärt Elizabeth Lira. Die Leiterin der psychologischen Fakultät an der chilenischen Universidad Alberto Hurtado betont, darüber hinaus müsse die Suche nach Überresten von in der Colonia Dignidad ermordeten Gefangenen und die strafrechtliche Aufklärung weiter betrieben werden.

Der Leiter der Kulturabteilung der Universidad de Chile, Diego Matte, fordert eine Erhebung aller Verbrechen der Colonia Dignidad. „Wir glauben immer, was geschehen ist, wird sich nicht wiederholen. Aber wer sichert uns das denn zu?“, fragt er.

An diesem besonderen Ort sollten Be­su­che­r*in­nen sich direkt und intensiv mit der Geschichte auseinandersetzen und daraus tiefgreifende Lehren ziehen. Die chilenische und die deutsche Regierung sollten sich klar zur Errichtung der Gedenkstätte bekennen und formelle Dinge wie die nötigen Verhandlungen um das Gelände vorantreiben, so Matte.

Mehrere Organisationen von Angehörigen ermordeter und verschwundener Gefangener erklärten ihre weitgehende Zustimmung zum Gedenkstättenkonzept der Expert*innen. In einer öffentlichen Erklärung fordern sie die zügige Umsetzung seitens der deutschen und der chilenischen Regierung und ein Ende von Bierfesten und bayerischem Folkloretourismus auf dem Gelände der früheren Colonia Dignidad.

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