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Verbrannte Nationalgalerie von AbchasienSelbst die Asche ist ein Spielball

Vor einem Jahr brannte die Nationalgalerie Abchasiens ab. Im Hintergrund schwelt der Konflikt zwischen Russland und Georgien.

Verbrannt: Alexander Tschatschba-Scherwaschid­ses Porträt vom frühen Coco-Chanel-Model Meri Scherwaschidse, 1911 (Ausschnitt) Kunst: Nationalgalerie von Abchasien

Verkohlte Bilderrahmen. Versengte Leinwände. Mehr als 4.000 Werke gingen in den Flammen verloren, als die Nationalgalerie in Suchumi, der Hauptstadt Abchasiens, am 21. Januar letzten Jahres von einem Feuer erfasst wurde. Nur einige Pinselstriche sind noch auf dem Ölgemälde eines unbekannten Künstlers zu erkennen, wie die Bilder lokaler Nachrichtenagenturen vom Schauplatz des Feuers bezeugen.

Große Teile der Leinwand sind vom Ruß geschwärzt, die einmal eine typisch abchasische Landschaft zeigte: Zypressen, die leichten Wellen des Schwarzen Meeres, die Berge des Kaukasus bläulich im Hintergrund.

„Alles brannte“, sagte die Kulturministerin Dinara Smyr unmittelbar nach der Katastrophe der abchasischen Nachrichtenagentur Apsnypress. „Es ist ein unersetzlicher Verlust für die abchasische Kultur. Ich ersticke fast in Tränen.“

Die maroden Elektroinstallationen des Museumsgebäudes seien der Grund für den Brand gewesen, sagt der Direktor der Nationalgalerie, Suram ­Sakanija, im taz-Gespräch. Abchasien ist regelmäßig von Stromausfällen betroffen. Die Elektroanlage habe dem Aus- und Einschalten nicht standgehalten, ein Kurzschluss habe die Flammen entzündet.

Aber: „Keiner der Mitarbeiter des Museums war für den Brand verantwortlich“, betont er und verweist auf die Ergebnisse einer Kommission, die im vergangenen Jahr die Ursache untersucht hat. Abchasiens Präsident Aslan Bschania persönlich hatte sie einberufen.

Tradition, Landschaft, Geschichte

Die Nationalgalerie beherbergte bis zu dem verheerenden Brand die Werke von Künstlerinnen und Künstlern, die in diesem heute so konfliktreichen Teil des Kaukasus von hoher Bedeutung sind. UdSSR-Regierungschef Nikita Chruschtschow hatte 1964 veranlasst, das Museum in der Hauptstadt der damals Autonomen Sowjetrepublik Abchasien zu gründen. Es war die Tauwetter-Periode, eine Zeit relativ großer künstlerischer Freiheit in der Sowjetunion nach Stalins Tod 1953. Das Museum sammelte vor allem Kunstwerke und Artefakte, die für ein Selbstverständnis und eine Identität dieser Bevölkerungsgruppe am Kaukasus stehen, ihre Tradition, Landschaft und Geschichte wiedergeben.

Vor der Auflösung der UdSSR 1991 folgte die Nationalgalerie eher einem offiziellen sowjetischen Kunstprogramm. In den Ausstellungen ging es um abchasische Legenden, die Revolution von 1917, propagandistisch inszenierte Heldentaten und Leiden im Zweiten Weltkrieg. In der Sammlung befanden sich aber auch Werke der Avantgarde-Malerin Warwara Bubnowa (1886–1983), 64 davon sind vor einem Jahr verbrannt. Bubnowa arbeitete eng mit Alexander Rodtschenko, Kasimir Malewitsch oder Wladimir Majakowski zusammen.

Auch mehr als 300 Gemälde des abchasischen Prinzen Alexander Tschatschba-Scherwaschidse (1867–1968) wurden von den Flammen zerstört – der Großteil seines künstlerischen Nachlasses. Der adelige, vom Impressionismus inspirierte Maler und Theaterkünstler hatte in Kyjiw und Paris studiert und war bis zur Oktoberrevolution einer der bekanntesten Bühnenkünstler in Sankt Petersburg gewesen.

In den Flammen ist vor einem Jahr eine Kunstsammlung untergegangen, die Abchasien kulturell verortet, international, vor allem aber für eine Selbstvergewisserung der örtlichen Bevölkerung. Und das macht die Nationalgalerie zu solch einem heiklen Thema. Denn in Abchasien herrschen seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion heftige Konflikte um seine politische Unabhängigkeit.

Der Status ist umstritten

Die gebirgige Republik, die ungefähr halb so groß ist wie Schleswig-Holstein und rund 245.000 Einwohner hat, ist international als Teil ­Georgiens anerkannt. Ihr Status ist jedoch seit Langem umstritten, 1992 brach ein Bürgerkrieg zwischen Abchasen und Georgiern aus, der noch heute tief im Bewusstsein beider Gesellschaften verankert ist. Nach einem Sieg gegen die Truppen aus Tbilissi wurde die georgische Zivilbevölkerung vertrieben, Abchasien erklärte sich zu einem unabhängigen Staat.

Es folgten Jahre des Ausschlusses von der internationalen Gemeinschaft, Sanktionen und Krisen. Ein geeignetes Gebäude für die Nationalgalerie konnte in dieser politischen Situation freilich nicht mehr gefunden werden, allen Beteuerungen der Politiker zum Trotz.

Dann 2008, nach Russlands Krieg gegen Georgien, wurde Abchasien zu Putins geopolitischem Spielball im Kaukasus. Das Regime im Kreml erkannte die Unabhängigkeit Abcha­siens an und baute gleichzeitig eine massive Militärpräsenz in der Republik auf. Bis heute betrachten die Regierung in ­Tbilissi sowie die EU und die USA die Tausenden russischen Soldaten als Besatzungstruppe auf georgischem Territorium. Den Abchasen werden sie als Friedenstruppen vermittelt – als eine Garantie gegen einen vermeintlichen neuen georgischen Angriff.

Hinter der Einmischung des Kremls steckt eine altbekannte kolonialistische Methode, bei der es darum geht, die Feindschaft zwischen Georgiern und Abchasen zum eigenen Vorteil auszunutzen.

Treuer Verbündeter Russlands

Heute ist Abchasien auf die finanzielle Unterstützung Russlands angewiesen. Doch die Diktatur im Kreml stellt harte Bedingungen. Im November löste ein neues Gesetz, das russischen Oligarchen ihre Vorhaben in der Republik erleichtern sollte, eine schwere Regierungskrise aus, in deren Verlauf Präsident Aslan Bschania zurücktreten musste. Und Ende 2023 nahm Russland sich das Recht, in Otschamtschira einen großen Marinestützpunkt als Entlastung für den Militärhafen in Sewastopol auf der Krim zu errichten.

Putin zieht Abchasien in den Angriffskrieg gegen die Ukraine hinein. Aus sicherheitspolitischen und ökonomischen Gründen hat die abchasische Regierung lange darauf Wert gelegt, sich als treuer Verbündeter Russlands darzustellen.

Aber unter der Oberfläche brodelt die Unzufriedenheit mit Russlands wachsendem Einfluss auf die abchasische Gesellschaft. Aufgrund der internationalen Isolierung Abchasiens hat Putin jedoch freie Hand, die ungleichen Beziehungen zu der kleinen Republik auszunutzen. Die EU und die USA unterstützen traditionell Georgien im Konflikt um das Territorium.

Vor diesem Hintergrund erscheint es logisch, dass der Brand in der Nationalgalerie als eine symbolische Schlacht in dem übergreifenden Konflikt zwischen Europa und dem russischen Totalitarismus wahrgenommen wird.

Vernachlässigung kultureller Identität

So nutzte Georgiens prowestliche Präsidentin Salome Surabischwili den Verlust der vielen Kunstwerke, um ihre prorussischen Gegner zu kritisieren: „Ich bedaure die unmittelbare Folge der Vernachlässigung der kulturellen Identität sowohl durch die De-facto-Führung als auch durch die russischen Besatzer.“ Ergänzt wurde sie durch die deutsche Grünen-Politikerin Viola von Cramon: „Alles, was Russland in die Hände fällt, wird zu Asche, sei es in Abchasien, im Donbass oder in anderen besetzten Gebieten.“

Seit den Parlamentswahlen in Georgien im Oktober 2024 nimmt der russische Einfluss aber auch dort deutlich zu. Es bleibt offen, was das für den Konflikt mit Abchasien und letztlich auch den Umgang mit dem Brand in der Nationalgalerie bedeutet.

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