Verbände fordern Regeln für Schadstoffe: Hormongift in Plastik
Umwelt- und Verbraucherorganisationen wollen endokrine Disruptoren regulieren. Die hormonwirksamen Substanzen können krank machen.
Berlin taz | Umwelt- und Verbraucherverbände haben die Regierung aufgefordert, die Bevölkerung besser vor hormonwirksamen Chemikalien zu schützen. Die Organisationen, darunter PAN Germany und CHEM Trust Europe appellieren an die Bundesregierung, „wie Frankreich Maßnahmen zu ergreifen, die dazu beitragen, die Exposition für Menschen und Umwelt gegenüber endokrinen Disruptoren“ merklich zu senken, heißt es in dem am Dienstag veröffentlichten Aufruf.
Endokrine Disruptoren stören den Hormonhaushalt, sie können Krankheiten wie Krebs auslösen oder zu Unfruchtbarkeit und Schädigungen der Keimbahn führen. Zu den Risikogruppen gehören vor allem Kinder und Schwangere. Die ganz unterschiedlichen Chemikalien finden sich in zahlreichen Alltagsprodukten, etwa in Verpackungen, Spielzeug oder Kosmetika.
Wissenschaftliche Organisationen wie die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie warnen, dass insbesondere das Zusammenwirken vieler unterschiedlicher endokriner Disruptoren problematisch sei. „Wir nehmen diese Stoffe über die Luft, Nahrungsmittel, Wasser und den Gebrauch von belasteten Produkten auf“, heißt es in dem Aufruf der Verbände. Nur sehr wenige der Stoffe seien verboten oder reguliert, dies müsse die Bundesregierung ändern.
Vorbild Frankreich
Der Bundestag befasst sich an diesem Mittwoch bei einer öffentlichen Anhörung mit hormonstörenden Chemikalien. Die Anhörung erörtert den Antrag der Fraktion der Grünen, die Bundesregierung solle nach dem Vorbild Frankreichs einen Nationalen Aktionsplan zum Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt vor hormonstörenden Chemikalien vorlegen.
Der zuständige Wirtschaftsverband der Chemischen Industrie (VCI) hingegen hält den bestehenden Rechtsrahmen für Chemikalien, Pflanzenschutzmittel, Biozide und Kosmetika für geeignet, endokrine Disruptoren zu identifizieren und zu regulieren. Außerdem arbeite auch die EU-Kommission an dem Thema, so dass auf nationale Alleingänge verzichtet werden solle.
Leser*innenkommentare
tazeline
In Deutschland und in der EU sind der Verbraucherschutz fast nichtmehr vorhanden. Früher lehnte man bei uns das US-Schadensersatz-Modell mit der Begründung ab, dass in den USA kein staatliches Pre-Checking stattfinden würde, weshalb die USA bei im Nachhinein festgestellten Verstößen eine auch für das Unternehmen schmerzhafte Schadensersatzhöhe festsetzt.
Doch in Deutschland/EU würde ja dieses Pre-Checking zum Wohle des Verbrauchers implementiert sein, weshalb es die hohen Strafen nicht brauchen würde.
Tatsache ist jedoch, dass es in der EU wie in Deutschland kaum mehr ein Pre-Checking hinsichtlich Produkte, Stoffe, Verbraucherschutz gibt, UND zudem auch keine hohen Strafen im Falle von Verstößen. Und da die Täter im Fall von Verstößen wenig zu fürchten haben, und zudem eine Aufdeckung SEHR unwahrscheinlich ist, wagen die Täter die Tat (Gammelfleisch & Co.), aber eben auch z.B. die hormonwirksame Verpackung von Lebensmitteln, oder gleichsam wirksamer Spielzeuge, …, ohne dass die EU/Deutschland sich diesbezüglich verantwortlich zeigen.
Ergo: Der EU/Deutschland sind ganz grundsätzlich die Gesundheit von uns Verbrauchern so lange völlig gleichgültig, solange sie sich nicht medienwirksam in Szene setzen können (Bsp.: Corona).
Möglicher Grund: Infolge der jahrzehntelangen Chemie-Schädigung werden wir Bürger nicht so schrecklich alt, woran der Staat und vor allem die Rentenkassen kein Interesse haben. Und da alte Menschen nicht produktiv sind, kann der Staat leicht auf sie verzichten.
😉
Lieblich
Die Beton-Fraktion VCI kennt ihre Verbündeten: "... Zwar sei bereits 1999 eine EU-Strategie zu endokrin aktiven Substanzen festgelegt worden, aber „diese wurde von der EU-Kommission massiv verschleppt“, berichtete Köhrle. Erst 2018 – und nachdem die EU-Kommission von einigen europäischen Regierungen verklagt worden war– wurden zwei Richtlinien für die Bewertung von Bioziden und Pflanzenschutzmitteln auf endokrine Aktivität verabschiedet." (aerzteblatt.de, Artikel von 2019).
Fezi
Auch schon?! Das ist alles schon seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten bekannt und über das Abwasser nehmen das auch nicht nur "wir", sondern sämtliche wassergebundenen Organismen auf, mit entsprechenden desaströsen Folgen.
Aber besser spät als nie.
tomás zerolo
Auffällig finde ich: naturwissenschaftliche Publikationen dazu gibt es seit der frühen 1990ern. Der Begriff selbst stammt von, so meine ich, 1991.
Statt nun mal "im Zweifelsfall vorsichtig sein" sitzt die Bundesregierung also etwa 20 Jahre lang breitärschig auf dem Thema und lässt sich von Lobbyorganisationen ins Ohr surren.
Ist das OK so?