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Vanja über die Kampagne für eine dritte Option„Ich bin weder Mann noch Frau“

Vanja, intersexuell, über das Fehlen einer dritten Option in amtlichen Dokumenten, dumme Sprüche, krasse Operationen und strukturelle Diskriminierung.

Versuchte als junger Mensch, als Frau zu leben und hat sich nun einen Bart wachsen lassen: Vanja. Bild: dpa
Interview von Andreas Wyputta

taz: Vanja, was wird für Sie im Jahr 2015 wichtig?

Vanja: Zu sehen, wie es mit der Einführung der dritten Geschlechtsoption weitergeht. Stellvertretend für viele versuche ich, das Geschlechtsmerkmal in meinem Reisepass in „inter/divers“ ändern zu lassen. Einfach ist dieser Weg durch die Gerichtsinstanzen nicht: Mittlerweile liegt die Klage beim Oberlandesgericht in Celle.

Warum gerade in Celle – Sie leben doch in Köln?

Stimmt. Geboren bin ich aber in Gehrden bei Hannover. Und um mein Geschlechtseintrag im Pass ändern zu lassen, muss erst einmal meine vom dortigen Standesamt geführte Geburtsurkunde geändert werden. Das aber wollten die Beamten nicht machen. Die waren zwar sehr freundlich, haben mir aber gleich gesagt, dass sie meinen Antrag ans Amtsgericht Hannover weiterreichen werden. Jetzt liegt die Sache in Celle. Mit Hilfe meiner Unterstützer gehe ich aber notfalls bis vor’s Bundesverfassungsgericht.

Warum ist es Ihnen so wichtig, dass im Pass „inter/divers“ steht? Seit dem Jahr 2013 kann der Geschlechtseintrag in amtlichen Dokumenten doch auch einfach weggelassen werden?

Gerade dieser Nicht-Eintrag ärgert mich. Stellvertretend für viele intersexuelle Menschen will ich etwas gegen die Unsichtbarkeit tun, die uns immer noch umgibt.

Inwiefern?

Aktuell ist es so: Zwar leben in Deutschland mindestens 80.000 Menschen, die wie ich sagen: Ich bin weder Mann noch Frau. Trotzdem wird so getan, als gäbe es uns gar nicht. Intersexualität wird von Staat und Gesellschaft als nicht gleichwertig betrachtet. Wenn es in amtlichen Urkunden zwar die Kategorien männlich und weiblich gibt, Intersexualität aber verschämt verschwiegen wird, ist die fehlende Gleichberechtigung doch offensichtlich.

Im Interview: Vanja

25, trägt Bart - doch im Reisepass wie in der Geburtsurkunde steht unter der Rubrik "Geschlecht" der Buchstabe "F" für "female"; also weiblich. Zwar kann der Eintrag seit 2013 auch weggelassen werden - doch Vanja kämpft zusammen mit der gleichnamigen Kampagne für "die dritte Option": die Einführung des Geschlechtsmerkmals "inter/divers".

Ist das nicht hochtheoretisch?

Der Eintrag „inter/divers“ in amtlichen Papieren ist natürlich nur ein erster Schritt, ein selbst gewähltes, selbstbewusstes Symbol für das Ende der Unsichtbarkeit.

Warum?

Noch heute legen oft Ärzte oder Hebammen fest, ob ein Neugeborenes männlich oder weiblich sein soll. Da wird dann manchmal ein Geschlecht festgelegt, das gar nicht passt – schließlich ist Intersexualität sehr vielfältig. Das Geschlecht macht sich nicht nur am Körper fest.

Sondern?

Auch biologisch ist das Geschlecht komplex. Es spielen Chromosome, Hormone und andere Faktoren eine Rolle. Dazu dann die Frage nach der eigenen Identität – also wie ich mich ganz persönlich fühle. Bei mir etwa ist erst in der Pubertät festgestellt worden, dass ich keine Frau bin – aber eben auch kein Mann.

War das nicht völlig verunsichernd – als Teenager?

Sehr sogar. Mein Anderssein habe ich erst einmal verdrängt. Darüber geredet habe ich nicht. Ich hätte gar keine Worte gehabt, um auszudrücken, wie ich mich fühle.

Und dann?

Eine Zeit lang habe ich versucht, als Mädchen, als junge Frau zu leben.

Heute tragen Sie einen Bart.

Ja, weil ich andere Geschlechtshormone nehme. Darauf bin ich angewiesen, weil mein Körper nicht so viele dieser Hormone produziert. Früher habe ich mich eher weiblich gegeben, jetzt gebe ich mich anders. Das passt besser zu mir.

Also fühlen Sie sich jetzt eher als Mann denn als Frau? Oder ist das viel zu sehr in überkommenen Geschlechterklischees gedacht?

Mit der Männerrolle komme ich etwas besser klar als mit der einer Frau, das stimmt schon. Trotzdem kann ich nicht behaupten, dass ich ein Mann bin. Natürlich könnte ich jetzt versuchen, mich möglichst männlich zu geben, dieses Rollenbild zu erfüllen. Aber dann würde ich wieder einen Teil von mir verstecken.

Ist es nicht unheimlich anstrengend für Sie, sich nicht einem der gesellschaftlich vorgegebenen Rollenbilder zu beugen?

Natürlich gibt es Leute, die verwirrt sind, wenn sie die Welt nicht in Schwarz und Weiß einteilen können. Die reagieren verunsichert, manchmal auch aggressiv.

Sie werden öfter blöd angemacht.

Manchmal höre ich blöde Sprüche. Dann gibt’s von mir aber einen dummen Spruch zurück. Mir geht es aber weniger um die persönliche Ebene, sondern um die immer wiederkehrende strukturelle Diskriminierung.

Wie sieht die aus?

Ich werde jeden Tag an mein Anderssein erinnert. In welchen Sportverein gehe ich, welche Umkleide benutze ich? Ganz schwierig ist, beim Klamottenkauf von der Männer- in die Frauenabteilung zu wechseln. Vor Kurzem habe ich ein Fernbus-Ticket gebucht. Selbst die wollten von mir wissen, ob ich ein Mann oder eine Frau bin.

Manche Eltern glauben noch heute, ihren Kindern diese Diskriminierung ersparen zu können – und stimmen Operationen zu, die das Geschlecht eindeutig festlegen sollen. Und da weibliche Geschlechtsorgane zumindest optisch einfacher zu gestalten sein sollen als männliche, werden intersexuelle Kinder oft schon kurz nach der Geburt zu Mädchen geformt…

Ich halte das für einen ganz krassen Eingriff, gerade wenn er ohne die Zustimmung des Menschen geschieht, der operiert wird. Für diese Operationen gibt es keinerlei medizinische Notwendigkeit – es geht nur um die Anpassung an eine vorherrschende Norm. In einer Gesellschaft wie unserer, die von sich behauptet, dass sie sich von überkommenen Rollenbildern löst, ist das doch absurd!

Auf was hoffen Sie in diesem Jahr?

Ich hoffe, dass mein Engagement für die dritte Option „inter/divers“ Eltern und Ärzten klarmacht, dass solche Operationen bei Kindern nicht okay sind. Ich wünsche mir, dass Intersexualität nicht mehr als Krankheit, sondern als Variation von Geschlecht wahrgenommen wird. Natürlich brauchen solche Gesellschaftsveränderungen Zeit. Aber ich hoffe einfach, dass mehr Leute beginnen nachzudenken, wenn sie selbst auf amtlichen Formularen sehen, dass es nicht nur männlich und weiblich, sondern auch eine dritte Option gibt.

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1 Kommentar

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  • Anmerkung der Kampagne:

     

    Die Zahl 80.000 kommt nicht von uns. Generell finden wir es eher wenig hilfreich Inter* beziffern zu wollen. Das ist uns leider beim Gegenlesen durch gegangen.

     

    Was wir betonen möchten: Nicht alle Personen, die medizinisch als Inter* bezeichnet werden, bezeichnen sich auch selbst so. Viele definieren sich einfach als Mann oder als Frau. Keineswegs soll die Dritte Option eine Zwangskategorie werden, sondern eine frei wählbare für alle, die sie für sich benötigen.

     

    Mehr Infos gibt es auf dritte-option.de

     

    /aus dem Dritte Option Kampagnenteam