VW bestellt Verkehrsgutachten für Kiel: Geschenkter Gaul, doch was faul
Um Dieselfahrverbote abzuwenden, lässt die Stadt Kiel eine Studie anfertigen, die VW bezahlt. Der Auftragnehmer ist praktischerweise eine eigene Konzerntochter.
Doch vor ein paar Tagen klappte Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD) die Kinnlade runter: Da steckte ihm ein Mitarbeiter aus seiner Verwaltung, wer im Juni 2017 97 Prozent von PTV übernommen hat: die Porsche-Holding. Und die gehört ihrerseits zum VW-Konzern. Großzügig interpretiert hatte VW also sich selbst beauftragt und vergessen, das den Kielern mitzuteilen. Die Stadt will nun selbst ein Gegengutachten in Auftrag geben.
Kiel kann bundesweit die vierthöchste Belastung durch vor allem von Dieselmotoren ausgestoßene Stickoxide vorweisen, obwohl an der Förde fast immer ein frischer Wind weht. Am Theodor-Heuss-Ring, der teilweise als sechsspurige Bundesstraße ausgebauten Hauptachse, die Ost- und Westufer verbindet, liegt der Stickoxid-Wert anderthalb mal so hoch wie zulässig wäre – und das im Jahresdurchschnitt.
Streit zwischen Stadt und Umweltminister Habeck
Die Deutsche Umwelthilfe hat deswegen gegen das zuständige Land Schleswig-Holstein geklagt. Die Klage liegt beim Verwaltungsgericht Schleswig derzeit wegen Überlastung auf Eis. Trotzdem arbeitet das Umweltministerium derzeit an einem Luftreinhalteplan. Der sollte ursprünglich Ende des ersten Quartals 2018 fertig sein, also in drei Wochen. Nun heißt es aus dem Ministerium nur noch, der Entwurf werde „zeitnah“ fertiggestellt. Man wolle die für Ende April erwartete Urteilsbegründung des Bundesverwaltungsgerichts abwarten, das vor zwei Wochen Fahrverbote für rechtmäßig erklärt hatte.
Für Umweltminister Robert Habeck (Grüne) ist das eine Prestigefrage, nicht erst seit er Grünen-Parteichef ist. Er kann sich politisch nicht erlauben, Anwohner den Gesundheitsgefahren durch Dieselabgase auszusetzen, wenn er eine rechtliche Handhabe dagegen hat. Es ist deswegen durchaus denkbar, dass sein Ministerium ein Fahrverbot für bestimmte Dieselfahrzeuge auf dem Theodor-Heuss-Ring verhängt.
Es könnte eine Kraftprobe werden, denn die Stadt möchte Fahrverbote unbedingt vermeiden. Sie sieht die Pulsader der Stadt bedroht. Zigtausende Pendler könnten nicht mehr mit ihrem bisherigen Auto zur Arbeit fahren. Und vor allem wäre der Wirtschaftsverkehr, der vor allem aus Diesel-LKW besteht, auf einen Schlag amputiert.
Umweltminister Robert Habeck, Grüne
Die Stadt steht deswegen unter Druck, braucht dringend eine Untersuchung darüber, wie man die Stickoxid-Werte auch ohne Fahrverbote auf ein legales Maß senken könnte. Die Studie, die VW beim Mobilitätsberater PTV bestellt hat, soll anhand von Verkehrsflussuntersuchungen und -prognosen verschiedene Modelle durchspielen – auch daraufhin, welche schädlichen Effekte Ausweichverkehr auf bisher nicht übermäßig belastete Straßen hätte.
Fachlich gibt es keine Zweifel an PTV
Nur ist PTV dafür der richtige Anbieter? Fachlich ist die Stadt von der Firma überzeugt: „Wir arbeiten seit 1977 mit PTV-Software“, sagt Stadtsprecherin Annette Wiese-Krukowska. Daher sei die Stadt mit dem VW-Vorschlag einverstanden gewesen. Es gebe auch nur ein anderes Unternehmen, das die benötigte Untersuchung durchführen könne – aber mit ganz anderer Software. „Da könnten wir mit allem von vorn anfangen“, so Wiese-Krukowska. Branchenkenner bestätigen die Einschätzung, PTV sei fachlich geeignet. Das Unternehmen hat zahlreiche Großstädte und Verkehrsbetriebe weltweit beraten.
Auch dass VW das Gutachten bezahle, sei nichts Besonderes, sagt Wiese-Krukowska. Der Verband der Automobilindustrie habe im Zuge der Dieselbetrugs-Affäre der Bundesregierung zugesagt, den mit Stickoxiden besonders belasteten Städten Verkehrsstudien zu bezahlen. Die Konzerne hätten sich die Städte nach regionaler „Zuständigkeit“ aufgeteilt.
Dennoch sind auch bei der Stadt Kiel inzwischen Zweifel aufgekommen, vor allem wegen der Verflechtung von PTV mit VW. „Das ist natürlich jetzt vom Anschein her ganz schlecht“, räumt Oberbürgermeister Kämpfer ein. „Das hört sich für die Leute da draußen gar nicht gut an.“
Umweltminister Habeck polterte sogar: „Da geht mir echt die Hutschnur hoch. Die Autokonzerne spannen nicht nur die Bundesregierung vor ihren Karren, sondern versuchen noch, die belasteten Städte abhängig zu machen. Und das, indem sie für die Städte Gutachten bezahlen und diese dann bei ihren eigenen Firmen in Auftrag geben. Die Autokonzerne haben ohnehin schon durch ihren Betrug das Vertrauen verloren, so entsteht noch mehr Misstrauen.“
Die Stadt Kiel will nun gegensteuern, indem sie ein weiteres Gutachten in Auftrag gibt, das die PTV-Studie überprüfen soll. „Wir suchen derzeit nach einer Firma“, sagt Stadtsprecherin Wiese-Krukowska. „Allerdings wird das auch nur mit PTV-Software gehen.“ Kosten soll das etwa genauso viel wie die von VW beauftragte Studie – rund 50.000 Euro.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Krieg in der Ukraine
Russland droht mit „schärfsten Reaktionen“
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Israelis wandern nach Italien aus
Das Tal, wo Frieden wohnt