Urteil zur Sterbehilfe: Ärzte brauchen Rückhalt
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Sterbehilfe ist richtig. Jetzt kommt es auf die Ausgestaltung durch Ärztekammer und Gesetzgeber an.
D as Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Sterbehilfe ist richtig und mutig. Gerade weil sich aus den Folgen dieses Urteils nicht weniger, sondern mehr ethische Debatten ergeben. Die RichterInnen haben nicht versucht, das Thema zu befrieden, was ein Scheinfrieden gewesen wäre. Stattdessen wurde der Raum weit geöffnet für die Ambivalenzen, die dazugehören zum Grenzbereich zwischen Leben und Tod. Hierfür neue Regeln zu finden, das wird die Aufgabe sein, und das ist gut.
Das im Grundgesetz festgelegte Recht auf Selbstbestimmung schließt das Recht auf einen Suizid ein. Eine professionelle Hilfe zu einem solchen Akt der Selbstautonomie darf laut Urteil daher nicht mehr generell untersagt werden. Der Paragraf 217 im Strafrecht, der die „geschäftsmäßige“ Hilfe zum Suizid unter Strafe stellt, sei „nichtig“, weil er die Möglichkeiten einer assistierten Selbsttötung „faktisch weitgehend entleert“, heißt es in dem Urteil.
Die Freiheit, eine Beihilfe zum Suizid in Anspruch zu nehmen, erfordere eine „konsistente Ausgestaltung des Berufsrechts der Ärzte und der Apotheker“ und „möglicherweise auch Anpassungen des Betäubungsmittelrechts“. Der Gesetzgeber und die Bundesärztekammer werden damit unter Handlungsdruck gestellt – zu Recht.
Die Frage lautet, wie die konkrete Ausgestaltung der ärztlichen Beihilfe zum Suizid nun aussehen könnte. Es wäre sinnvoll, sich an Staaten zu orientieren, die eine solche Sterbehilfe bereits gewähren wie etwa die Niederlande, Belgien, der US-Staat Oregon.
Man sollte die Regel aufstellen, dass mindestens zwei voneinander unabhängige ÄrztInnen über die Sterbehilfe entscheiden und ein unabhängiger Zeuge dabei sein muss, vor dem der oder die PatientIn seinen Willen erklärt. Die PatientInnen müssten zuvor über alle Möglichkeiten der schmerzlindernden Medizin aufgeklärt werden. Es muss auch eine gewisse Frist geben zwischen der Äußerung des Sterbewunsches und dem Verschreiben eines todbringenden Medikaments.
Auch die Bundesärztekammer steht bei der Entwicklung dieser Regularien in der Pflicht. Sie muss davon abkommen, die ärztliche Beihilfe zum Suizid wie bisher standesrechtlich zu verbieten und dabei mit dem Entzug der Approbation zu drohen. Das Bundesverfassungsgericht hat erklärt, dass die Beihilfe zum Suizid nicht an das Vorliegen einer unheilbaren tödlichen Krankheit geknüpft sein darf. Das heißt aber nicht, dass für ÄrztInnen keine Leitlinien entwickelt werden können. Kein Arzt ist dazu verpflichtet, Suizidbeihilfe zu leisten, auch das steht im Urteil.
Man könnte sich darüber verständigen, dass ein schweres aussichtsloses Leiden erkennbar sein muss. Bei SeniorInnen mit hohem Pflegeaufwand, die vielleicht von außen unter Druck stehen könnten, muss allergrößte Vorsicht gelten. Menschen mit psychiatrischen Diagnosen sollten von der Beihilfe zum Suizid ausgeschlossen werden.
Solche Richtlinien zu entwickeln ist unbequem, produziert Fragwürdigkeiten, Grenzfälle. Die Gefahr besteht, dass nichts passiert, weil niemand in moralisches Zwielicht geraten möchte. Doch wenn die allermeisten ÄrztInnen die Sterbehilfe weiterhin ablehnen, auch weil sie um ihre Approbation fürchten, dann können sich Schwerstkranke in Zukunft nur an Sterbehilfevereine wenden. Diese vermitteln dann an bestimmte ÄrztInnen in der Schweiz oder vielleicht bald auch in Deutschland, wo einige Landesärztekammern die Sterbehilfe auch jetzt schon nicht untersagen. Das Image der Sterbehilfevereine und der damit verbundenen ÄrztInnen, die dubiose Geschäfte mit dem Tod machen, würde aber dadurch möglicherweise verfestigt und die Sterbehilfe wieder in eine Art Schmuddelecke gesteckt, in die sie absolut nicht gehört.
Bundesärztekammer und der Gesetzgeber müssen deshalb handeln. Das Thema gehört in die Mitte der Gesellschaft und nicht an den Rand.
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