Urteil zu Räumungen im Hambi: „Ein Schlag in die Magengrube“
2018 beendete die Polizei die Besetzung des Hambacher Walds mit der Begründung mangelnden Brandschutzes. Das war vorgeschoben, sagt ein Gericht jetzt.
Rückblende: Die NRW-Landesregierung hatte im Sommer 2018 Begründungen gesucht, wie sie die WaldbesetzerInnen loswerden könnte, die teils seit Jahren dort lebten. Im September wies sie die Stadt Kerpen und den Kreis Düren, denen der Wald je etwa zur Hälfte gehört, an, die gut hundert Baumhäuser zu räumen: Baumhäuser seien auch Häuser und könnten brennen, deshalb müssten sie den Brandschutzanforderungen genügen.
Es folgte der teuerste Polizeieinsatz des Landes NRW mit mindestens 30 Millionen Euro Kosten. Ein junger Mann stürzte während der Räumungen in den Tod. Und kaum war der Wald brandschutzgerecht leer, verhängte das Oberverwaltungsgericht Münster einen Rodungsstopp, der bis heute gilt. Der Wald scheint gerettet.
„Klatsche für die Landesregierung“
In der Widerstandsszene schlug die Meldung vom Urteil bombengleich ein. Umweltpädagoge Michael Zobel, der seit 2014 mit über 70.000 Menschen bei seinen Sonntagsspaziergängen im Hambacher Wald war, nennt das Urteil eine „Klatsche für die Landesregierung: Ministerpräsident Armin Laschet vorneweg, aber auch Innenminister Herbert Reul und Frau Scharrenbach“ (alle CDU). Bauministerin Ina Scharrenbach hatte damals die Brandschutzidee entwickelt. Die Polizei leistete Vollzugshilfe.
Dass der Brandschutz vorgeschoben war, wussten alle, sagt Zobel, spätestens nachdem ein Video mit Laschet („Ich brauchte doch einen Vorwand“) geleakt worden war. Zobel: „Die Politik kriegt nichts geregelt, ständig müssen Gerichte das korrigieren, was die selbstherrliche NRWE-Landesregierung anstellt.“ Erst vor zwei Wochen habe sie den rechtswidrigen Bebauungsplan des Steinkohlekraftwerks Datteln 4 „um die Ohren bekommen und jetzt dieser Schlag in die Magengrube“. Ein Treffer nach dem anderen: „Ich frage mich, wann der k.o. kommt.“
„Zufälliger Zeitpunkt“
Zobel sagt, er teile „die klammheimliche Freude“ vieler, „aber eigentlich ist die Freude weder klamm noch heimlich, sondern eine, die ich gerne offen zeige“. Am Sonntag macht er seinen 89. Waldspaziergang, „die Gerichtsentscheidung wird sicher ein herausragendes Thema werden“.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, Die beklagte Stadt Kerpen könnte vor dem Oberverwaltungsgericht Münster in Berufung gehen. „Unmittelbare praktische Folgen“, so Gerichtssprecher Michael Ott, habe das Urteil eh nicht, außer dass die Stadt Kerpen keine Kosten eintreiben könnte. Dass diese sehr politische Entscheidung gerade jetzt gefallen ist, sei „zufällig, den langfristigen Terminkalendern der Richter geschuldet und ohne jede Absicht so kurz vor der Bundestagswahl“.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Habecks Dilemma mit der Gerechtigkeit
Robert und das Schulklo
Klimastreik in Sachsen
Dem rechten Mainstream trotzen
Zukunft der Ukraine
Gewissheiten waren gestern
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten