Urteil zu Polizeigewalt im Hambi: „Nicht sachgerechter Einsatz“

Das Landgericht Aachen hat dem Opfer einer Polizeiattacke im Hambacher Forst Schadenersatz zugesprochen. Eine weitere Rüge für Laschets Regierung.

Polizisten in voller Schutzmontur mit Helm und Schild gehen durch den Hambacher Forst

Polizeikräfte sichern den Wald, während Aktivisten sich in Baumhäusern verschanzt haben Foto: Lars Berg/imago

AACHEN taz | Die Amtshaftungskammer des Landgerichts Aachen hat dem Opfer einer Polizeiattacke im Hambacher Wald gestern Recht gegeben. Das Gericht rügte „Rechtsfehler beim Polizeieinsatz“, der weder angemessen noch sachgerecht gewesen sei. Das Land Nordrhein-Westfalen muss dem Kläger, Todde Kemmerich, 3.350 Euro Schadenersatz zuzüglich Zinsen zahlen.

Das ist die nächste juristische Ohrfeige für das Land NRW in Sachen Hambacher Wald nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vergangene Woche. Dieses hatte erklärt, die Begründung „Brandschutz“, mit der die von KlimaaktivistInnen errichteten Baumhäuser 2018 in dem von Braunkohlebaggern bedrohten Wald polizeilich geräumt worden waren, sei nur vorgeschoben gewesen und die Polizeiaktion damit rechtswidrig. Auch dort sind jetzt Schadenersatzklagen von Menschen möglich, deren Hab und Gut dabei vernichtet wurde.

Filmemacher Kemmerich war Ende 2016 vom Einsatzleiter einer Hundertschaft, dem 1. Polizeihauptkommissar Dietmar Z., angesprungen und brutal zu Boden geworfen worden, als er im Hambacher Wald unterwegs war. Kemmerich erlitt diverse Verletzungen und war längere Zeit in therapeutischer Behandlung. Die Kamera, mit der er den Angriff gerichtsverwertbar gefilmt hatte, wurde zerstört.

Die Aufnahmen blieben erhalten und spielten bei der Würdigung der „körperlich geführten Auseinandersetzung“ (Richter) eine wesentliche Rolle. Das Zivilgericht stellte fest: Kemmerich ging schon rückwärts wie angewiesen, von einem Platzverweis, den die Polizei zwingend hätte aussprechen müssen, ist nichts zu hören. Klare Dienstvergehen also. Auch war nichts zu sehen von Absperrungen für angebliche Rodungen.

Der Mann mit der orangenen Weste

Dazu kamen Filme, die offenbar ein RWE-Sicherheitsmann gemacht hatte, wie die typische orangene Weste nahelegt. Der Richter nannte das Material aber „das polizeiliche Video“. Das erstaunte Augenzeugen. „Aber“, sagte eine, „das passt ja auch: Polizei, Justiz, Politik, RWE, Werkschutz, ist hier doch eh alles eins“. Merkwürdig allerdings: Ob ein RWE-Mann die Kamera so zielsicher von der Szene weggedreht hätte, genau in dem Moment, als der Angriff auf Kemmerich begann?

Kemmerich freute sich über das Urteil, einerseits: Endlich sei der Polizeieinsatz nicht einfach durchgewunken worden, nachdem sich diverse Staatsanwaltschaften vier Jahre lang vor strafrechtlichen Anklagen gegen Dietmar Z. gedrückt hätten. Andererseits: „Die widerlichen Straftaten nach dem Überfall, wie zweimal in die Fresse schlagen und die Schlagstockattacken nicht zu verurteilen, bleibt ein Skandal, eine Katastrophe.“

Diese Übergriffe, bei denen Kemmerichs Kamera nicht mehr lief, schienen der Kammer nicht bewiesen. Bei der mündlichen Verhandlung vor sechs Wochen standen Aussagen gegen Aussagen. Allerdings ließ der Richter nach dem Urteil jetzt durchblicken, er tendiere durchaus dazu, Kemmerich und seinen Zeugen zu glauben. Die Entscheidung obliege aber den Strafgerichten. Ob die Staatsanwaltschaft nach diesem Urteil erneut tätig wird, ist offen. Dafür spricht wenig.

Gegen das Urteil können sowohl Kemmerich als auch das Land Berufung einlegen. Die Rechtsvertreterin des Landes NRW, eine Aachener Familienanwältin, war zur Urteilsverkündung nicht erschienen.

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