Urteil zu Polizeigewalt im Hambi: „Nicht sachgerechter Einsatz“
Das Landgericht Aachen hat dem Opfer einer Polizeiattacke im Hambacher Forst Schadenersatz zugesprochen. Eine weitere Rüge für Laschets Regierung.
Das ist die nächste juristische Ohrfeige für das Land NRW in Sachen Hambacher Wald nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vergangene Woche. Dieses hatte erklärt, die Begründung „Brandschutz“, mit der die von KlimaaktivistInnen errichteten Baumhäuser 2018 in dem von Braunkohlebaggern bedrohten Wald polizeilich geräumt worden waren, sei nur vorgeschoben gewesen und die Polizeiaktion damit rechtswidrig. Auch dort sind jetzt Schadenersatzklagen von Menschen möglich, deren Hab und Gut dabei vernichtet wurde.
Filmemacher Kemmerich war Ende 2016 vom Einsatzleiter einer Hundertschaft, dem 1. Polizeihauptkommissar Dietmar Z., angesprungen und brutal zu Boden geworfen worden, als er im Hambacher Wald unterwegs war. Kemmerich erlitt diverse Verletzungen und war längere Zeit in therapeutischer Behandlung. Die Kamera, mit der er den Angriff gerichtsverwertbar gefilmt hatte, wurde zerstört.
Die Aufnahmen blieben erhalten und spielten bei der Würdigung der „körperlich geführten Auseinandersetzung“ (Richter) eine wesentliche Rolle. Das Zivilgericht stellte fest: Kemmerich ging schon rückwärts wie angewiesen, von einem Platzverweis, den die Polizei zwingend hätte aussprechen müssen, ist nichts zu hören. Klare Dienstvergehen also. Auch war nichts zu sehen von Absperrungen für angebliche Rodungen.
Der Mann mit der orangenen Weste
Dazu kamen Filme, die offenbar ein RWE-Sicherheitsmann gemacht hatte, wie die typische orangene Weste nahelegt. Der Richter nannte das Material aber „das polizeiliche Video“. Das erstaunte Augenzeugen. „Aber“, sagte eine, „das passt ja auch: Polizei, Justiz, Politik, RWE, Werkschutz, ist hier doch eh alles eins“. Merkwürdig allerdings: Ob ein RWE-Mann die Kamera so zielsicher von der Szene weggedreht hätte, genau in dem Moment, als der Angriff auf Kemmerich begann?
Kemmerich freute sich über das Urteil, einerseits: Endlich sei der Polizeieinsatz nicht einfach durchgewunken worden, nachdem sich diverse Staatsanwaltschaften vier Jahre lang vor strafrechtlichen Anklagen gegen Dietmar Z. gedrückt hätten. Andererseits: „Die widerlichen Straftaten nach dem Überfall, wie zweimal in die Fresse schlagen und die Schlagstockattacken nicht zu verurteilen, bleibt ein Skandal, eine Katastrophe.“
Diese Übergriffe, bei denen Kemmerichs Kamera nicht mehr lief, schienen der Kammer nicht bewiesen. Bei der mündlichen Verhandlung vor sechs Wochen standen Aussagen gegen Aussagen. Allerdings ließ der Richter nach dem Urteil jetzt durchblicken, er tendiere durchaus dazu, Kemmerich und seinen Zeugen zu glauben. Die Entscheidung obliege aber den Strafgerichten. Ob die Staatsanwaltschaft nach diesem Urteil erneut tätig wird, ist offen. Dafür spricht wenig.
Gegen das Urteil können sowohl Kemmerich als auch das Land Berufung einlegen. Die Rechtsvertreterin des Landes NRW, eine Aachener Familienanwältin, war zur Urteilsverkündung nicht erschienen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Im Gespräch Gretchen Dutschke-Klotz
„Jesus hat wirklich sozialistische Sachen gesagt“