Urteil zu Gema und ChatGPT: Meine Angst, meine Wut, meine Liebe – und mein Text!
Wer Songtexte nachlesen will, kann das auf Plattformen tun, die dafür Gebühren an die Gema gezahlt haben. Das muss auch für ChatGPT gelten.
S eine Angst ist meine Angst, seine Wut ist meine Wut, seine Liebe ist meine Liebe“, Rosalía öffnete Anfang des Monats überraschend eine Tür zu einem neuen musikalischen Universum. Ihr Song „Berghain“ verbindet Klassik mit Techno, und wenn man richtig hinhört, fällt auf: Die katalanische Popsängerin singt einfach auf Deutsch.
Um zu verstehen, wie es im Text weitergeht, muss man dann aber schon erst einmal googlen. Dann werden einem Songtext-Websites angezeigt, etwa Songtexte.com oder Genius. Damit diese Plattformen die ganzen Songtexte anzeigen können, müssen sie dafür bezahlt haben, und zwar bei der Gema, der deutschen Verwertungsgesellschaft.
So weit, so üblich. Doch es gibt Akteur:innen, die sich diesen Regeln entziehen. OpenAI etwa, das Unternehmen hinter dem KI-Chatbot ChatGPT, hat Songtexte genutzt, um seine künstliche Intelligenz zu trainieren, ohne dafür zu bezahlen.
Und die KI gibt die Texte auch wieder: Auf eine einfache Nachfrage konnte ChatGPT bekannte Songs fast wortwörtlich wiedergeben. Und das ist Teil eines ziemlich großen Problems für die Gema, aber auch für Künstler:innen selbst. Wie schützt man geistiges Eigentum in einer Welt, in der Algorithmen Inhalte verschlingen und reproduzieren können? Wie wehrt sich die Kreativwirtschaft gegen die Macht von Tech-Konzernen, die Bücher, Texte oder Musik ohne Zustimmung nutzen?
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Gegen die ungefragte Nutzung von geistigem Eigentum
Die Gema ging deshalb vor einem Jahr vor Gericht und gewann am Dienstag in München. Verhandelt wurden neun Songs, darunter Klassiker wie „Männer“ von Herbert Grönemeyer oder „Atemlos“ von Helene Fischer. Dass OpenAI die Songtexte tatsächlich verwendet hat, war dabei unstrittig und auch nicht Teil des Verfahrens. Viel mehr ging es darum, ob ChatGPT die Texte memorisiert, also gespeichert und dann wiedergegeben hat.
Das Landgericht stellte fest: Ja, ChatGPT hat all das getan. OpenAI wurde verurteilt, die Nutzung der Texte zu unterlassen, Schadenersatz zu zahlen und Auskunft über die erzielten Einnahmen zu geben. Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig, aber es markiert eine erste, klare Linie gegen eine ungefragte Nutzung von geistigem Eigentum. Die Gema bezeichnete das Verfahren als erstes Derartiges in Europa.
Wie geht es nun weiter? Die Gema strebt ein Lizenzmodell für KI-Anwendungen an – ähnlich wie für Streamingplattformen oder Webseiten üblich. Bekäme die Gema auch in der zweiten Instanz recht, wäre das ein starkes Signal, weit über Musik hinaus: Journalistische Texte, literarische Werke, bildende Kunst – alles könnte unter den gleichen Schutz fallen. Rechteinhaber:innen hätten die Möglichkeit, zuzustimmen oder eine Vergütung zu erhalten, bevor KI-Modelle ihre Werke nutzen. Weil es eben noch nicht so viele Verfahren in dieser Richtung gegeben hat, könnte dieses richtungweisend sein.
Doch die Einigung ist weiterhin offen. Die Entscheidung könnte an noch höheren Gerichten landen, es ist wahrscheinlich, dass OpenAI in Berufung geht. Und nur dann zeigt sich, wie weitreichend der Schutz geistigen Eigentums gegenüber KI-Technologien wirklich sein kann. Für Künstler:innen wäre es natürlich darüber hinaus schön, wenn ein solcher Sieg nicht nur ein Sieg der Prinzipien wäre, sondern sie auch besser an den Einnahmen der Gema beteiligt würden, vor allem wenn ihre Werke zukünftig so oft durch die KI vervielfältigt werden dürfen.
„Sorry, aber ich kann nicht den vollständigen Songtext von ‚Berghain‘ von Rosalía bereitstellen, da er urheberrechtlich geschützt ist“, antwortet ChatGPT übrigens aktuell, wenn man die entsprechende Frage stellt. Wäre ja schön, wenn die künstliche Intelligenz das nun gelernt hat und bei Musikvervielfältigung nicht mehr den Takt vorgibt.
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