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Urteil zu Gema und ChatGPTMeine Angst, meine Wut, meine Liebe – und mein Text!

Ann-Kathrin Leclere

Kommentar von

Ann-Kathrin Leclere

Wer Songtexte nachlesen will, kann das auf Plattformen tun, die dafür Gebühren an die Gema gezahlt haben. Das muss auch für ChatGPT gelten.

Nein, das ist nicht Rosalía Foto: Fred Gasch/imago

S eine Angst ist meine Angst, seine Wut ist meine Wut, seine Liebe ist meine Liebe“, Rosalía öffnete Anfang des Monats überraschend eine Tür zu einem neuen musikalischen Universum. Ihr Song „Berghain“ verbindet Klassik mit Techno, und wenn man richtig hinhört, fällt auf: Die katalanische Popsängerin singt einfach auf Deutsch.

Um zu verstehen, wie es im Text weitergeht, muss man dann aber schon erst einmal googlen. Dann werden einem Songtext-Websites angezeigt, etwa Songtexte.com oder Genius. Damit diese Plattformen die ganzen Songtexte anzeigen können, müssen sie dafür bezahlt haben, und zwar bei der Gema, der deutschen Verwertungsgesellschaft.

So weit, so üblich. Doch es gibt Akteur:innen, die sich diesen Regeln entziehen. OpenAI etwa, das Unternehmen hinter dem KI-Chatbot ChatGPT, hat Songtexte genutzt, um seine künstliche Intelligenz zu trainieren, ohne dafür zu bezahlen.

Und die KI gibt die Texte auch wieder: Auf eine einfache Nachfrage konnte ChatGPT bekannte Songs fast wortwörtlich wiedergeben. Und das ist Teil eines ziemlich großen Problems für die Gema, aber auch für Künst­le­r:in­nen selbst. Wie schützt man geistiges Eigentum in einer Welt, in der Algorithmen Inhalte verschlingen und reproduzieren können? Wie wehrt sich die Kreativwirtschaft gegen die Macht von Tech-Konzernen, die Bücher, Texte oder Musik ohne Zustimmung nutzen?

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Gegen die ungefragte Nutzung von geistigem Eigentum

Die Gema ging deshalb vor einem Jahr vor Gericht und gewann am Dienstag in München. Verhandelt wurden neun Songs, darunter Klassiker wie „Männer“ von Herbert Grönemeyer oder „Atemlos“ von Helene Fischer. Dass OpenAI die Songtexte tatsächlich verwendet hat, war dabei unstrittig und auch nicht Teil des Verfahrens. Viel mehr ging es darum, ob ChatGPT die Texte memorisiert, also gespeichert und dann wiedergegeben hat.

Das Landgericht stellte fest: Ja, ChatGPT hat all das getan. OpenAI wurde verurteilt, die Nutzung der Texte zu unterlassen, Schadenersatz zu zahlen und Auskunft über die erzielten Einnahmen zu geben. Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig, aber es markiert eine erste, klare Linie gegen eine ungefragte Nutzung von geistigem Eigentum. Die Gema bezeichnete das Verfahren als erstes Derartiges in Europa.

Wie geht es nun weiter? Die Gema strebt ein Lizenzmodell für KI-Anwendungen an – ähnlich wie für Streamingplattformen oder Webseiten üblich. Bekäme die Gema auch in der zweiten Instanz recht, wäre das ein starkes Signal, weit über Musik hinaus: Journalistische Texte, literarische Werke, bildende Kunst – alles könnte unter den gleichen Schutz fallen. Rech­te­inha­be­r:in­nen hätten die Möglichkeit, zuzustimmen oder eine Vergütung zu erhalten, bevor KI-Modelle ihre Werke nutzen. Weil es eben noch nicht so viele Verfahren in dieser Richtung gegeben hat, könnte dieses richtungweisend sein.

Doch die Einigung ist weiterhin offen. Die Entscheidung könnte an noch höheren Gerichten landen, es ist wahrscheinlich, dass OpenAI in Berufung geht. Und nur dann zeigt sich, wie weitreichend der Schutz geistigen Eigentums gegenüber KI-Technologien wirklich sein kann. Für Künst­le­r:in­nen wäre es natürlich darüber hinaus schön, wenn ein solcher Sieg nicht nur ein Sieg der Prinzipien wäre, sondern sie auch besser an den Einnahmen der Gema beteiligt würden, vor allem wenn ihre Werke zukünftig so oft durch die KI vervielfältigt werden dürfen.

„Sorry, aber ich kann nicht den vollständigen Songtext von ‚Berghain‘ von Rosalía bereitstellen, da er urheberrechtlich geschützt ist“, antwortet ChatGPT übrigens aktuell, wenn man die entsprechende Frage stellt. Wäre ja schön, wenn die künstliche Intelligenz das nun gelernt hat und bei Musikvervielfältigung nicht mehr den Takt vorgibt.

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Ann-Kathrin Leclere
Aus Kassel, lange Zeit in Erfurt gelebt und Kommunikationswissenschaft studiert. Dort hat sie ein Lokalmagazin gegründet. Danach Masterstudium Journalismus in Leipzig. Bis Oktober 2023 Volontärin bei der taz. Jetzt Redakteurin für Medien (& manchmal Witziges).
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7 Kommentare

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  • Copyright Sklaverei! Anfänge eines Urheberrechts gab es wohl schon in der Antike und spätesten ab dem 16.Jahrhundert haben Künstler und Schriftsteller versucht, sich gegen die Konkurrenz von Nachahmern, Kopisten und Fälschern zu wehren. Hintergrund war, dass mit dem Verkauf der „Originale“ Geld auf einem wachsenden Markt verdient werden konnten und die Urheber bzw. deren Verleger darauf ihre individuelle wirtschaftliche Existenz gründeten. Im 18.Jahrhundert kam dann das immaterielle Recht am geistigen Eigentum dazu. Die „Freiheit der Gedankens“ wurde danach an die Fessel marktwirtschaftlicher Eigentums und der Reichweite der Rechtsstaatlichkeit unterworfen. Ideen kann man seither legal nur stehlen, wenn und solange es keinen Kläger gibt. Schlechte Karten für die Natur, indigene Völker und alle, die das „Original“ nicht kannten oder sich keinen guten Rechtsbeistand leisten können. Als „Individualrecht“ ist das Copyright ein ideales Recht liberaler Dominanz und "Kreative" sind Avantgarde des liberalen Sozialdarwinismus. Ohne Copyright könnte vielen Menschen geholfen werden, die Menschen und ihre Gedanken wären freier.

  • Wieso ist hier die GEMA der Rechteverwerter und nicht VG Wort? Ich dachte, bei der GEMA ginge es um das fertige Werk und bei VG Wort um die "technischen Bestandteile". Wenn ich ein Liederbuch drucken will, ist auch VG Wort dafür zuständig und nicht die GEMA.

  • Wesentliches Argument für die gerichtliche Entscheidung ist die Annahme, dass Werkzeuge der künstlichen Intelligenz bei solchen bekannten Werken wie atemlos oder Bochum diese nicht nur lesen und verarbeiten sondern auch memorisieren, also diese Texte quasi wie in einer Datenbank irgendwo hinterlegen und bei Bedarf abrufen. Das ist aber alles andere als plausibel. Google kann das schon seit Jahrzehnten und hat bisher noch nie deshalb Ärger bekommen. Alles was wir über ki-werkzeuge wissen ist, dass sie nicht Daten eins zu eins speichern sondern diese lesen und verarbeiten. Wenn sie trotzdem die Daten quasi eins zu eins entsprechend der Anfrage zurückgeben können, dann kann das auch andere Gründe haben als dass die Daten irgendwo abgespeichert wurden. Auch ein zweiter Punkt an dem Artikel ist merkwürdig: KI-systeme können nicht lernen sondern verarbeiten Daten nach Algorithmen, die aber wie black boxes wirken. Wenn also jetzt chatgbt sich weigert den Text von Bochum herauszugeben, dann haben höchstens die Informatiker was gelernt, die die Layer produzieren, die über die Antworten der KI gelegt werden.

  • Das wurde höchste Zeit. Die"KI"-Bros klauen sich alles an Content zusammen, was geht, nach der Devise "was wir haben, haben wir - bis die langen Rechtststreits abgeschlossen sind". Zig Webseiten sind dazu übergegangen, "KI"-Blocker vorzuschalten, weil sich die Bros natürlich nicht an die Regeln halten. Dafür winken einfach zu viele $$$.

    Das gesamte Silicon Valley schafft sich gerade eine neue Geschäftsgrundlage, in dem alles, was Kreative in egal welchem Bereich geschaffen haben, sei es Musik, Text, Foto, Design, Film, Architektur, Programmierung usw. einfach einverleibt und monetarisiert wird. Kreative kennen das schon lange.

    "Dass OpenAI die Songtexte tatsächlich verwendet hat, war dabei unstrittig und auch nicht Teil des Verfahrens. Viel mehr ging es darum, ob ChatGPT die Texte memorisiert, also gespeichert und dann wiedergegeben hat."

    Was soll das Schlupfloch? Wenn eine "KI" einen Songtext originalgetreu wiedergibt, ist egal, ob der am Stück gespeichert oder synthetisiert wurde. Es geht um die kommerzielle Nutzung urheberrechtlich geschützten Contents und nicht um die Technik dahinter.

    Hoffe, höhere Instanzen knicken nicht vor den Mrd an "KI"-Investorenkohle ein.

  • So sehr ich OpenAI und AI allgemein nicht mag, vor allem LLMs. So sehr mag ich auch nicht die GEMA. Die GEMA wirkt für mich mehr und mehr wie ein Monster welches gerne nimmt aber nur an wenige gibt. Musiker'innen müssen für das Aufführen ihrer eigenen Lieder bezahlen. Und ich erinnere mich noch daran, dass irgendwann die GEMA ihren Mitgliedern gnädigweiser erlaubt hat, ihre Musik auf einer eigenen Webseite als Werbung für ihre Musik zu stellen. Kurz das Urheberrecht für Musik ist kaputt. Die urheberrechtlichen und leistungsschutzrechlichen Fristen dauern zu lange. Und es verstellt die Frage, womit OpenAI und Co. hier wirklich Geld verdienen, nämlich mit der Arbeit von Musiker'innen und Komponst'innen. Nur haben die selten noch die ausschließlichen Verwertungsrechte an ihrem Werk. Ich gönne OpenAI diese Niederlage, der GEMA gönne ich diesen Sieg nicht.

    • @tehabe:

      Daran ist rein gar nichts "mehr und mehr". Das war schon immer so. Als "kleiner" Musiker ohne absehbaren großen Durchbruch sollte man eher nicht GEMA-Mitglied werden.

      • @Matt Olie:

        Nicht GEMA Mitglied werden? Warum sollte ein Musiker nicht von seiner Musik leben wollen?