Urteil in Österreich: „Falter“ gewinnt gegen ÖVP
Es ist ein Urteil in letzter Instanz: Die österreichische Wochenzeitung „Falter“ darf weiter über die Wahlkampfkosten-Überschreitung der ÖVP berichten.
Der bereits am 20. Oktober ausgefertigte Beschluss des Höchstgerichts ist den Streitparteien am Dienstag zugestellt geworden und beendet einen mehr als einjährigen Rechtsstreit.
Die Geschichte beginnt mit einem anonymen E-Mail, das am 17. August 2020 beim Falter eintraf. Betreff: „Spenden ÖVP“. In den 20 angehängten Word- und Excel-Dateien fanden sich Informationen über mutmaßliche Spender der Liste Sebastian Kurz. Dokumentiert sind deren Namen, die von ihnen überwiesenen Beträge und sogar die Buchungsdaten.
Daraus geht hervor, wie die Zahlungen so gestückelt wurden, dass sie unter der meldepflichtigen Höhe blieben. Neben eher anekdotischen Details, etwa dass der stets perfekt gegelte Kurz seiner Partei 600 Euro für sein „Hair Grooming“ in Rechnung stellte, enthielt die Post auch besonders brisantes Material, nämlich eine Buchhaltung, aus der hervorging, dass Spenden so verbucht wurden, dass sie nicht im offiziellen Wahlkampfbudget aufschienen.
Die ÖVP war schon nach dem Nationalratswahlkampf 2017 für die Überschreitung der gesetzlichen Obergrenze für Kampagnenausgaben um fast 100 Prozent verurteilt worden. Nach dem Platzen des Ibiza-Skandals und einem Misstrauensvotum gegen die gesamte Regierung musste die ÖVP 2019 nach wenig mehr als zwei Jahren erneut in den Wahlkampf ziehen. Diesmal, so versicherte man treuherzig, werde man statt der erlaubten sieben Millionen Euro nur sechs ausgeben. Die offenbar aus dem Inneren der ÖVP-Verwaltung stammenden Informationen belegten das Gegenteil. Rund neun Millionen waren investiert worden, um die Partei von Sebastian Kurz um sechs Prozentpunkte gegenüber 2017 auf 37,5 Prozent hochzupushen.
Der Falter überprüfte die Daten und ging damit an die Öffentlichkeit. Empört wiesen die Spitzen der ÖVP die Zahlen zurück. Der Falter sei einer Fälschung aufgesessen und das werde man vor Gericht beweisen. Dort mussten die Parteianwälte jedoch die Echtheit der Unterlagen eingestehen. Man bestritt aber, dass Öffentlichkeit und Rechnungshof absichtlich über die wahren Ausgaben getäuscht worden seien.
Schon das Erstgericht sah das anders. Der Oberlandesgerichtshof als Berufungsinstanz bestätigte im August das Urteil, sah aber die Täuschungsabsicht, was den Rechnungshof betrifft, nicht erwiesen. Drolliger Weise verkaufte die ÖVP damals das Urteil wegen dieses Details als Triumph, ging aber trotzdem in Revision. Mit dem Spruch des Obersten Gerichtshofes ist die Schmach jetzt komplett.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht