piwik no script img

Urteil in AustralienGeschlecht ist optional

In Australien ist es nicht nötig, sich als Mann oder Frau zu identifizieren, meint das oberste Gericht. Das Urteil dürfte weitreichende Folgen haben.

Zumindest teilweise erfolgreich: Norrie in Sydney. Bild: dpa

CANBERRA taz | Er – oder sie – nennt sich Norrie und hat kein Geschlecht. Und das jetzt offiziell. Die Person, die in der Innenstadt von Sydney lebt und nur unter dem Vornamen genannt werden will, hat am Mittwoch vom Obersten Gericht des Landes die Bestätigung erhalten, ein „Neutrum“ sein zu dürfen.

Norrie ist als Mann geboren worden, ließ sich aber 1983 zur Frau umoperieren. Danach entschied sich Norrie, weder Mann noch Frau sein zu wollen, stoppte die Einnahme von Hormonen und lebte als geschlechtsneutrale Person. Das ging gut, bis Norrie sich 2010 im Bundesstaat New South Wales registrieren wollte.

Der zuständige Beamte akzeptierte, dass Norrie auf dem Formular bei der Frage nach dem Geschlecht kein Kreuz machen wollte. Doch vier Monate später flatterte Norrie ein Brief ins Haus: Der Entscheid des Beamten sei ein Fehler gewesen und damit nicht rechtskräftig. Norrie begann einen Feldzug durch die Justiz.

Nach einer Reihe von Niederlagen im Kampf gegen das Amt erhielt Norrie am Mittwoch von der höchsten Instanz des Landes Recht. Die Richter wiesen das Argument des Vertreters des Bundesstaates zurück, mehr als zwei Geschlechterkategorien würden zu „unakzeptabler Verwirrung“ führen. Im Urteil schreiben sie, in den meisten Fällen sei das Geschlecht eines Individuums irrelevant für die Rechtsprechung. Einzig im Heiratsgesetz sei es juristisch signifikant für die Partnerschaft.

Das Gericht wies jedoch die Forderung von Norrie zurück, man müsse für eine neue juristische Form schaffen, etwa „Intersex“. Das Amt in Sydney wird nun den Antrag von Norrie neu prüfen müssen. Beobachtern zufolge wird der Richterspruch weitreichende Folgen in Bundesstaaten haben, in denen ähnliche Gesetze gelten. „Der Entscheid wird auch für sie bindend sein“, sagte Norrie's Anwalt Scott McDonald nach dem Urteil.

Es ist durchaus möglich, dass das Urteil auch über die Landesgrenzen hinaus Konsequenzen haben wird. Sein/e Mandant/in sei von „unzähligen Menschen aus Australien und dem Rest der Welt kontaktiert worden, die sich ebenfalls nicht spezifisch identifizieren möchten“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • Kann die ganze Diskussion nicht so nachvollziehen. Ist es nicht eher ein Sonderfall, dass jemand weder das Gefühl hat, im Körper des falschen Geschlechtes zu leben, noch wirklich geboren intersexuell ist sondern einfach weder Mann noch Frau sein will? Nur sehr, sehr wenige Menschen sind wirklich intersexuell und sie haben es wahrscheinlich schwerer als andere, eine eigene körperlich-sexuelle Identität zu entwickeln. Andererseits macht es eine Gesellschaft, in der soziale Geschlechterkategorien sehr streng und als "großer Unterschied" festgelegt sind, nicht unbedingt besser. Ist so, als müsste man sich unbedingt entweder für Blau oder Rot entscheiden, obwohl es ja auch leicht ins Violette gehendes Blau/Rot und stark rot- bzw. blaustichiges Violett gibt und sehr viele Töne dazwischen (und das ist das Natürliche, das andere ist das, was gesellschaftlich festgelegt ist!). Wenn man sich unbedingt biologischer Geschlechtlichkeit verweigern will - okay, aber ich würde eher das Sozio-Kulturelle angreifen....

  • Den Schluss würde ich nicht ziehen. Ich beispielsweise will mich auch nicht als Mann oder Frau einordnen und betrachte mich eher als "out of the system". Ich bin mir immer noch unsicher, was ich für ein Pronomen benutzen will. Das "es" empfinde ich als abwertend, da wäre mir ein Phantasiepronomen ganz recht. Was ich sagen will ist, dass mensch doch lieber versuchen soll seiner Identität mit Phantasiewörtern Ausdruck zu verleihen, als sich auf Bestehendes festzulegen, dass dann als abwertend empfunden wird.

    • @Robin Müller:

      Das sollte eigentlich als Antwort an DASNIVEAU gehen

  • Es geht nicht um ein drittes Geschlecht - wie andere Zeitungen fälschlicher Weise schreiben sondern darum, sich nicht festlegen zu müssen. Abseits von Quoten darf eh kein Unterschied zwischen den Geschlechtern gemacht werden. Daher ist es nur konsequent dem Geschlecht die juristische Relevanz zu nehmen. Irgendwann werden dann auch die Quotenbefürworter_innen einsehen, dass Quoten nur ein Übergangsinstrument in eine Welt ohne Geschlechterdiskriminierung sein können. Der feministische Ansatz, dass Frauen eine Sonderrolle benötigen, ist eben nur in einer patriarchalen Welt gültig und heute in vielen Bereichen nicht nur überholt sondern steht einer Gleichbehandlung aller Menschen unabhängig vom Geschlecht im Wege.

  • "Er – oder sie"

    Beides falsch, Norrie möchte ja weder noch sein.

     

    Das neutrale Personalpronomen im Deutschen ist "es."

     

    "Es nennt sich Norrie."

    • @unbekannter_nutzer:

      @Unbekannter_Nutzer:

      Nein, eben nicht. "Es" hat eine häufig als beleidigend empfundene Konnotation, weil "es" sonst nur für Dinge und unbelebte Gegenstände verwendet wird. Im Englischen möchte Norrie mWn auch nicht mit "it". sondern mit neutralen Pronomen wie "zhe" angesprochen werden.

    • @unbekannter_nutzer:

      Richtig, Ebenso widersinnig ist "Sein/e Mandant/in" "Mandant ist ursprünglich eine lateinische Form, und die lautet im Neutrum ebenfalls "mandant", also ginge völlig korrekt auch: "das Mandant".

      Das grammatische Geschlecht ist übrigens in der lateinischen Bedeutung nicht "sächlich", sondern "neutrum", und das heißt, korrekt übersetzt, keins von beiden.

    • @unbekannter_nutzer:

      Das "es" hat soetwas unglaublich Abwertendes.

       

      Ist aber immer noch besser als die zig Phantasiepronomen die im Englischen derzeit die Runde machen.

      • @DasNiveau:

        Mag sein, dass es im Englischen abwertend ist.

        Im Deutschen ist das imo nicht zu übertragen. Ansonsten sähe es sehr schlecht aus in der deutschen Gesellschaft, wenn DAS Kind immer mit etwas abwertenden verbunden wäre.