Urteil im Mordfall Maryam H.: Lebenslänglich für Maryams Brüder

Das Landgericht Berlin hat Yousuf und Mahdi H. zu lebenslanger Haft verurteilt. Es sah die Schuld der Männer am Mord ihrer Schwester als erwiesen an.

AnwältInnen in schwarzen Roben in Gerichtssaal

Im Saal 500 des Kriminalgerichts Moabit wurde das Urteil verkündet Foto: picture alliance/dpa | Annette Riedl

BERLIN taz | Es sei „ein zutiefst verabscheuungswürdiger Mord“, sagt der Vorsitzende Richter Thomas Groß und wendet sich direkt an die beiden Angeklagten: „Deswegen müssen Sie lebenslang in Haft.“

Nahezu zwei Stunden dauert die Urteilsbegründung am Donnerstag im Prozess gegen die beiden afghanischen Brüder Yousuf und Mahdi H. Die 22. Strafkammer ist überzeugt, dass die 28 und 24 Jahre alten Männer ihre Schwester Maryam H. im Sommer 2021 in Berlin ermordet und die Leiche in einem Koffer im ICE nach Donauwörth in Bayern gebracht haben. Der dort vom älteren Bruder Yousuf allein vergrabene Leichnam war drei Wochen später von der Berliner Mordkommission gefunden worden. Gefesselt, erdrosselt und mit durchgeschnittener Kehle.

Fast ein Jahr hatte das Verfahren gedauert, der Fall erregte weit über Berlin hinaus Aufsehen. Die Strafkammer unter Vorsitz von Groß sieht es am Ende so wie die Staatsanwältin: Die 34-jährige Maryam H. hat sterben müssen, weil ihr Verhalten nicht den Moralvorstellungen der Brüder entsprach.

In der Urteilsbegründung lässt es Groß nicht an Deutlichkeit zu wünschen übrig. Es gehe nicht darum, welche Wertvorstellungen in den archaischen familiären Strukturen der Angeklagten gälten, sondern was in Deutschland gelte: „das Menschenrecht, nicht vermeintliche Ehrbegriffe“. Beide Angeklagten hätten lange genug hier gelebt, um die hiesigen Sitten und Gebräuche zu kennen.

Verteidigung zerpflückt

Minutiös zerpflückt der Vorsitzende die Verteidigungsstrategie. Scheibchenweise hätten die Anwälte immer wieder versucht nachzubessern, noch nie sei ihm das in seiner über 30-jährigen Tätigkeit als Richter in dieser Form passiert. Gleichzeitig lobt der Richter die „exzellente“ Arbeit der Mordkommission bei der Aufklärung des Verbrechens.

Die Tat sei kaum an Niedertracht zu überbieten, so Groß. Konspirativ und von langer Hand hätten die Angeklagten die Tötung geplant. Sie hätten sich zum Vollstrecker über das Leben der Schwester aufgeschwungen, als sie gemerkt hätten, dass ihnen die Macht über Maryam verloren zu gehen drohe. Denn nach den Vorstellungen ihres Familienverbandes hätten Frauen keusch zu sein und dürften nicht selbst denken.

Der Vorsitzende stützt sich auch auf das Gutachten der Islamwissenschaftlerin Christine Schirrmacher, die im Prozess gehört worden war. Diese hatte betont, dass dieses archaische Denken nicht im Islam verankert sei, sondern aus vorislamischer Zeit stamme.

Maryam sei lange bemüht gewesen, loyal zu ihren Brüdern zu sein. „Sie wollte den Bruch nicht“, sagt der Vorsitzende. Aber sie habe in Deutschland entdeckt, dass es schöne Seiten am Leben gebe: Eine Beziehung auf Augenhöhe mit Zuwendung und Anerkennung. Sie habe mit ihrem neuen Lebensgefährten zusammenziehen wollen und gleichzeitig gewusst, dass sie in großer Gefahr sei, deshalb von den Brüdern getötet zu werden.

Neue Beziehung, selbstbestimmtes Leben

Die Geschwister H. waren vor einigen Jahren aus Afghanistan nach Deutschland geflüchtet. In Berlin hatte sich Maryam H. von ihrem gewalttätigen Ehemann getrennt, mit dem sie als 16-Jährige in Kabul zwangsverheiratet worden war. Zum Zeitpunkt der Tat lebte die Frau mit dem 13-jährigen Sohn und der 10-jährigen Tochter in einem Flüchtlingsheim in Hohenschönhausen. Sie war eine Beziehung zu einem Deutsch-Iraner eingegangen, der zuvor ihr Familienhelfer war, und auf dem besten Weg, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

Das alles hatten Zeugen im Prozess gesagt. Auch, dass die Brüder, die nicht in der Unterkunft lebten, sich aber oft in der kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung der Schwester aufhielten, Maryam wie Helikopter überwacht hätten. Als sie am 13. Juli 2021 aus dem Heim verschwand, war Maryam gerade auf der Suche nach einer eigenen Wohnung.

Die Pandemie und immer neue Beweisanträge der Verteidiger hatten zu einer Verlängerung des Verfahrens geführt. In dem Geständnis, das Yousuf H. nach anfänglichem Schweigen schließlich ablegte, hatte er die Tat als Unfall dargestellt. Maryam habe die in Afghanistan lebenden Eltern beschimpft, da habe er mit ihr gerangelt. Aus Wut, dass sie sich plötzlich nicht mehr bewegte, habe er ihr den Hals zugedrückt. Der Bruder habe die Leiche dann mit nach Donauwörth geschafft. Der Halsschnitt sei erst nach dem Tod erfolgt, hatte der Angeklagte behauptet. Der Körper hätte sonst nicht in den Koffer gepasst.

Mit dem Urteil folgte das Gericht dem Antrag von Staatsanwältin Antonia Ernst. Diese hatte die Einlassung von Yousuf H. in ihrem Plädoyer als „kläglichen Versuch“ bezeichnet, „die unwiderlegbaren Beweise als weniger schlimm darzustellen“. Maryam H. habe ihr Leben frei führen, ihre Kinder nach ihren Wertevorstellung erziehen wollen, hatte Ernst gesagt. „Ein kleiner Wunsch ist das, der Wunsch nach einem autonomen Leben.“

Vor einer anderen Strafkammer des Berliner Landgerichts muss sich derzeit ein 32-jähriger Afghane verantworten. Er soll seiner von ihm getrennten Ehefrau im April 2022 aufgelauert und sie mit mindestens 13 Messerstichen getötet haben. Die Frau war Mutter von sechs Kindern.

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