Urteil im Mordfall George Floyd: 22,5 Jahre Haft
Derek Chauvin muss lange ins Gefängnis. Vielen ist das Urteil noch zu mild, auch wenn Chauvin sich erstmals direkt an Floyds Familie wendet.

Bereits im April war der ehemalige Polizist Derek Chauvin von einer Jury in allen drei Anklagepunkten für schuldig befunden worden. Nun verkündete Richter Peter Cahill am Freitagnachmittag (Ortszeit) das Strafmaß: 22,5 Jahre Gefängnis. Eigentlich sehen bundesstaatliche Richtlinien eine Haftstrafe von 12,5 Jahren vor. Cahill begründete seine Entscheidung für ein verschärftes Strafmaß mit der verübten Grausamkeit sowie dem Missbrauch der Vertrauensposition. Noch vor der Verkündung wies Richter Cahill ein Gesuch von Chauvin für eine Neuaufnahme des Gerichtsverfahrens ab.
Bevor der 45-jährige Chauvin aus dem Gerichtssaal abgeführt und wieder ins Gefängnis gebracht wurde, wandte er sich zum ersten Mal seit dem Mord direkt an die Angehörigen von George Floyd: „Ich will der Familie mein Beileid aussprechen.“
Ein seltenes Ende
Das Urteil selbst ist eine Rarität, da Fälle von Polizeigewalt gegenüber Schwarzen nur äußerst selten zur Anklage gebracht werden. Und in den wenigen Fällen, die tatsächlich vor Gericht landen, kommt es überproportional zu Freisprüchen und Fehlprozessen.
Für Familienangehörige, Rechtsanwälte und Bürgerrechtler spielt dies keine Rolle. Sie waren darüber empört, dass Chauvin „nur“ 22,5 Jahre hinter Gittern absitzen muss. Bei guter Führung könnte er sogar schon nach 15 Jahren wieder auf freiem Fuß sein.
Brandon Williams, Neffe von George Floyd
„Echte Gerechtigkeit in Amerika gibt es erst, wenn schwarze Männer, schwarze Frauen und farbige Menschen sich nicht mehr davor fürchten müssen, nur wegen ihrer Hautfarbe von der Polizei getötet zu werden. Das wäre echte Gerechtigkeit“, sagte Ben Crump, einer von mehreren Rechtsanwälten, die Floyds Familie vertreten.
Brandon Williams, ein Neffe des Verstorbenen, sah ebenfalls keine Gerechtigkeit im Urteil. „Welche Nachricht senden wir damit an unser Land“, fragte er. „Welche Nachricht senden wir an unsere kleinen Kinder, wie (Floyds Tochter) Gianna, dass man einen Menschen kaltblütig töten kann und mit einem blauen Auge davonkommt?“
Floyds Schwester Bridgett Floyd konnte dem Strafmaß zumindest etwas Gutes abgewinnen: „Das heute verhängte Urteil gegen einen Polizisten in Minneapolis, der meinen Bruder George Floyd getötet hat, zeigt, dass Angelegenheiten rund um Polizeigewalt endlich ernst genommen werden.“ Sie fügte allerdings hinzu, dass dem Land noch ein langer Weg bevorstehe und es viele Veränderungen brauche. US-Präsident Joe Biden bezeichnete das Urteil als „angemessen“.
Der Mord an George Floyd im Mai 2020 sorgte weltweit für Aufsehen und rückte das Problem von Polizeigewalt gegenüber Minderheiten in den USA ins Rampenlicht. Wie schon beim brutalen Angriff auf Rodney King 1993 war es auch bei Floyd ein Video, das die Welt schockierte. Die Filmaufnahme zeigte, wie ein Polizist mehr als neun Minuten sein Knie auf den Hals eines am Boden liegenden schwarzen Mannes drückt. Dieser bittet vergeblich um Hilfe, sagt, dass er nicht atmen kann. Schließlich erliegt er seinen Verletzungen. Der Polizist war Derek Chauvin und das Opfer George Floyd. Der Grund für Floyds Festnahme war eine angeblich gefälschte 20-Dollar-Note.
Chauvin ist der erste weiße Polizist im US-Bundesstaat Minnesota, der für die Tötung eines Afroamerikaners verurteilt wurde.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alles zur Bundestagswahl
FDP-Chef Lindner verabschiedet sich aus der Politik
Sauerland als Wahlwerbung
Seine Heimat
Pragmatismus in der Krise
Fatalismus ist keine Option
Erstwähler:innen und Klimakrise
Worauf es für die Jugend bei der Bundestagswahl ankommt
Totalausfall von Friedrich Merz
Scharfe Kritik an „Judenfahne“-Äußerungen
Russlands Angriffskrieg in der Ukraine
„Wir sind nur kleine Leute“