Urteil gegen mutmaßlichen NS-Verbrecher erwartet: Lebenslange Haft gefordert

In Italien wurden 1944 vierzehn Zivilisten ermordet. Vor einem Jahr begann der Prozess gegen den ehemaligen Wehrmachtsoffizier Josef S., am Dienstag wird das Urteil erwartet.

Der Angeklagte Josef S. zeigte sich im Prozess gänzlich unbeeindruckt. Bild: dpa

MÜNCHEN taz | Betroffenheit für die Opfer zeigte Josef S. vor dem Schwurgericht in München nicht. Verbitterung strahlte er aus. Fast über ein Jahr untersuchte das Gericht die Verantwortung des ehemaligen Wehrmachtsoffiziers an einem Massaker an 14 Zivilisten 1944 in Italien. Am letzten Verhandlungstag sagte der 90-Jährige: "Ich habe für das Vaterland gedient und werde dafür nach 65 Jahren vor Gericht gestellt." Am Dienstag wird das Urteil erwartet.

Am 15. September 2008 begann im großen Saal das Verfahren. Zu Beginn sagte der ehemalige Schreinermeister, der sonst schwieg, gleich: "Ich weiß davon nichts, und ich war nicht dabei." Am letzen Tag des Prozesses, dem 22. Juli, forderten so auch seine drei Verteidiger: "Freispruch". Die Staatsanwaltschaft hatte lebenslange Haft wegen 14fachen Mordes in Mittäterschaft gefordert. Sie hält es für erwiesen, dass der Exoffizier des Gebirgspionierbataillons 818 in dem Weiler Falzano di Cortona das Massaker befahl.

Toskana im Jahr 1944: Das Bataillon 818 reparierte eine Brücke nahe Falzano. Am 26. Juni schickte S. einen Unteroffizier und einen Gefreiten los, ein Pferd und ein Fuhrwerk zu requirieren. Auf dem Rückweg töteten Partisanen die drei Soldaten. Eine Vergeltung folgte. Die Wehrmacht erschoss die 74-jährige Maria B., den 55-jährigen Santi L., den 39-jährigen Angiolo D. und den 21-jährigen Ferdinando C. Elf weitere Zivilisten im Alter von 15 bis 74 Jahren trieben sie in ein Bauernhaus.

Vor Gericht schilderte der einzige Überlebende Gino Massetti die Geschehnisse: "Wir hofften noch, dass wir ,nur' in ein Konzentrationslager kommen würden." Doch dann beobachteten der damals 15-jährige Masseti und die anderen, wie Kisten in den ersten Stock des Hauses getragen wurden. "Erst beim zweiten Mal ist das Haus in die Luft geflogen", sagt er. Bis heute leidet er an den schweren Verletzungen.

Gänzlich unbeeindruckt von dieser Aussage gab sich der Angeklagte. Bei Aussagen alter Wehrmachtskameraden wirkte er gar gelassen. Er wusste wohl, dass sie nicht umhinkämen, seine Anwesenheit vor Ort zu bestätigen, aber seine Rolle an dem Tag nicht schildern würden. Die Zeugen erklärten, sich nicht erinnern zu können, und belasteten ihren ehemaligen Kompaniechef nicht.

Ein von Ermittlern abgehörtes Telefonat legt Absprachen aber nahe. Josef S. hatte Exkameraden angerufen und sich mit ihnen in einer Gaststätte getroffen.

Überrascht wurde S. aber dennoch. Kurz vor Prozessende meldete sich Eugen S. als Zeuge und sagte aus, dass Josef S. sich früher mit der Tötung der Zivilisten gebrüstet hätte: "So nach dem Motto: Wir waren halt noch richtige Kerle." Gegenzeugen betonten, dass Eugen S., der früher bei dem Angeklagten angestellt war, diese Aussage aus privater "Rache" gemacht hätte.

In Italien hat das Militärgericht in La Spezia Josef S. schon 2006 in Anwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt. Inwieweit das Gericht in München die Mordmerkmale für eine Verurteilung ausmacht, ist ungewiss. Gabriele Heinecke, Anwältin der Nebenklage von 13 Angehörigen der Ermordeten, glaubt: "Der Prozess bewies: Er war verantwortlich, er hat das befohlen und durchgeführt".

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