Urteil gegen „Zwölf Stämme“: „Rutenhiebe auf das Gesäß“
Ein Exlehrer der Sekte wird wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Das Gericht sieht die gewalttätigen Praktiken belegt.
Die Jugendlichen tragen grüne Latzhosen, geblümte Hemden und selbstgestrickte Pullover, die Haare strubbelig, die Backen rot. Ihre erwachsenen Glaubensbürger haben zauselige Bärte, genauso wie der nun für schuldig befundene 54-jährige Klaus H.
Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass der ehemalige Lehrer H. seinen damaligen 14-jährigen Schüler Christian R. vor neun Jahren geschlagen hat. H. wird dafür zu einer sechsmonatigen Bewährungsstrafe und einer Geldstrafe von 2.000 Euro verurteilt.
Eine „Weiden- oder Haselnussrute“ soll sich H. vor der Tat im Gebüsch gepflückt und zurechtgestutzt haben, um den Jungen „mit starker Kraft auf das mit Unterhose bekleidete Gesäß mindestens fünf Mal aus nicht aufklärbarem Anlasse bei einer Mühle in Klosterzimmern geschlagen haben“, begründet die Richterin das Urteil.
Zuvor hatte H.s Verteidiger versucht, R. zu diskreditieren: „Wer die ganze Zeit durch Talkshows tingelt, der sollte dann auch hier sein Wissen kundtun.“ Die Richterin bezeichnet R. dagegen als glaubwürdig und begründete etwa R.s mangelnde Erinnerung damit, dass man sich, wenn man öfters geschlagen würde, schlechter erinnern könne, als wenn es nur einmal passiert sei.
Zugute hielt die Richterin ihm auch, dass er als Zeuge fehlenden „Belastungseifer“ an den Tag gelegt habe, etwa, als er die Intensität der Schläge nur vage beschrieben habe. Er hätte schließlich auch äußeren können, „H. habe volle Kanne durchgezogen, wenn er eine Verurteilung gewollt hätte“, so die Richterin.
Die „Zwölf Stämme“ inszenieren sich gern als verfolgte Religionsgruppe. Besonders, weil aktuell noch Sorgerechtsverfahren laufen, nachdem die Polizei im September 2013 rund 40 Kinder aus „Zwölf Stämme“-Familien in Bayern entzogen hat. Bei einem Umzug in Nördlingen im Mai liefen Anhänger mit einem Transparent mit, das den Nördlinger Amtsgerichtsdirektor Helmut Beyschlag in die Nähe der Judenverfolgung rückte. Beyschlag hat Anzeige erstattet.
Auch dieses Mal nutzt die Sekte den Prozess als Werbeplattform. Nach dem Urteil hissen Mitglieder vor dem Amtsgericht ein Transparent: „Wir Zwölf Stämme verlassen Deutschland“, steht drauf. Ein Großteil der Gruppe ist nach Tschechien ausgewandert oder hat das vor.
Am Ende stimmt ein Posaunenchor der Sekte „Macht hoch die Tür“ an. Darin heißt es: „Gelobet sei mein Gott, mein Schöpfer reich von Rat. Er ist gerecht, ein Helfer wert. Sanftmütigkeit ist sein Gefährt.“ Zu beherzigen scheinen die religiösen Eiferer das, was sie da singen, nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen